Der große Saal der Historischen Stadthalle Wuppertal ist gefüllt mit Musikschulleiterinnen und -leitern aus ganz Deutschland. Denn der Verband deutscher Musikschulen hat zum Bundeskongress eingeladen. Der Verbandsvorsitzende Friedrich-Koh Dolge kann ein interessantes Programm vorstellen und er hat Vertreter der kommunalen Spitzenverbände und der kommunalen Arbeitgeber in den Saal eingeladen. Auch einen Bundestagsabgeordneten: Helge Lindh, SPD, streitet in einer Rede für eine andauernde und vor allem rechtssichere Umsatzsteuerfreiheit der Musikschulen und lädt den Vorsitzenden in eine politische Arbeitsgruppe ein, die sich im Bundestag dafür einsetzen soll.
Das sogenannte Herrenberg-Urteil des Bundessozialgerichts sei eine Herausforderung, so Lindh. Das Durchsetzen von angemessen abgesicherten Arbeitsverträgen dürfe nicht zum Verschwinden einzelner Musikschulen führen. Lindh will eine „Mission Musikschule“ mit Bund, Ländern und Gemeinden initiieren. Er preist die Bergische Musikschule als „Perle der Stadt“ auch aufgrund ihrer Teilhabe-Initiativen. Solche Musikschulen müssten dauerhaft abgesichert sein. Kulturelle Bildung sei kein gesellschaftlicher Reparaturbetrieb, vielmehr habe jeder Mensch das Recht, sich zum künstlerischen Ausdruck befähigen zu lassen.
Lydia Stettinius von der Hochschule für Musik und Tanz Köln, Standort Wuppertal, ist Preisträgerin des RKM-Wettbewerbs Musikpädagogik 2023. Sie präsentiert in der Stadthalle ihre partizipativen Ansätze zur Integration der kindlichen Perspektive. Der Preis wurde vom VdM und den Musikhochschulen in Deutschland im vergangenen Jahr gemeinsam vergeben.
Friedrich-Koh Dolge hält ein Impulsreferat über den Fachkräftemangel, der besorgniserregend sei, vor allem in der Elementaren Musikpädagogik. Im Grenzgebiet Deutschlands wechseln Pädagogen in die Nachbarländer, weil da besser bezahlt werde. Andere steigen quer in den Schuldienst ein. Dort können sie nicht nur besser bezahlt, sondern auch verbeamtet werden. Die Forderung des VdM nach einer höheren Entgeltgruppe im Tarifsystem fällt allerdings ungünstig mit dem Herrenberg-Urteil des Bundessozialgerichts zusammen. Das erkennt auch Dolge. Doch aus seiner Sicht gab es nie günstige Zeitkorridore für eine Anhebung der Gehälter. Und nun müsse man sie halt angehen. Notwendig ist die EG10, so Dolge.
Der Ganztag werde ab 2026 auch die Musikschullehrer stark fordern, die Babyboom-Generation sich in den Ruhestand verabschieden und die junge Generation die Musik immer weniger als Berufung empfinden. Doch Kinder, die sich in der frühen Kindheit mit Musizieren auseinandersetzen, können besser lesen, sich in Gemeinschaften integrieren, sind emphatischer und mehr. Es bedarf ein Zusammenwirken aller gesellschaftlicher Ebenen, um das wieder möglich zu machen. Ein Pakt für die musikalische Bildung sei notwendig, wie ihn ja auch Helge Lindh schon angeregt hatte.
Für die Sendung Forum WDR3 diskutieren dann Friedrich-Koh Dolge, Moderator Dr. Michael Köhler, Daniela Schneckenburger, Beigeordnete des Deutschen Städtetags, Marc Elxnat, Beigeordneter des Städte- und Gemeindebunds, und Dr. Bernhard Langenbrinck, Hauptgeschäftsführer des Kommunalen Arbeitgeberverbands NRW, über die Zukunftsfähigkeit von Musikschulen, über Nachwuchsgewinnung, Tarifentwicklungen und Beschäftigungsverhältnisse.
Das Herrenberg-Urteil des Bundessozialgerichts schreibt also weitgehend Angestelltenverhältnisse an Musikschulen statt Honorarverträge vor. Das treibt die Kosten enorm, so Bernhard Langenbrick, und wird die kommunalen Kassen belasten. Marc Elxnat sieht viele Kommunen auf einen guten Weg, um vernünftige Lösungen zu finden. Dolge sieht die resultierende finanzielle Mehrbelastung letztlich bei den Eltern ankommen.
Daniela Schneckenburger sieht musikalische Bildung als ein Stück Persönlichkeitsbildung an. Das muss sich ein Land leisten können. Das Herrenberg-Urteil berücksichtige nicht, dass manche Pädagogen auch Honorarkräfte bleiben wollen, etwa Orchestermusiker, die nebenher an Musikschulen unterrichten. „Wir brauchen eine flexible Einbindung unterschiedlicher Kräfte in die Musikschule.“ Dolge weist hingegen auf die große Gesamtzahl von Honorarverträgen hin, unter denen die Kräfte, die nicht umgewandelt werden wollen, eine verschwindende Minderheit darstellen würden. „Wir brauchen eine Streckung der Übergangszeit,“ so Dolge.
Langenbrinck bestätigt, dass eine Streckung vieles erleichtern würde. Wenn jetzt Kommunen in eine Betriebsprüfung geraten, haben sie eine Rechtsunsicherheit. Auch Elxnat sieht Betriebsprüfungen als eine Gefahr an. Er stellt die Frage, wie genau man ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis definiere? Vielleicht bekomme man da noch etwas Spielraum hinein. Schneckenburger weist darauf hin, dass bereits jetzt in vielen Städten Statusfeststellungsverfahren liefen, die ein großes Problem darstellen.
Dolge sieht ein Problem in den sehr unterschiedlich hohen Unterrichtsgebühren in Deutschland. Sie bedeuten eine so große Bildungsungerechtigkeit, dass ein deutschlandweiter Pakt notwendig ist. Schneckenburger fordert darüber hinaus einen Pakt für Bildung, denn generell sei der Zugang zu Bildung zu unterschiedlich leicht oder schwer. Die Kommunen müssen dafür entlastet werden. Allein das Wachstumschancengesetz koste die Kommunen in den nächsten Jahren Milliarden. Wir brauchen auch den Digitalpakt 2. Elxnat pflichtet bei, dass in einem solchen Pakt die Finanzierungsverantwortung grundsätzlich geklärt werden müsse. Es geht nicht um Förderprogramme, sondern um eine grundlegend angemessene Mittelverteilung zwischen den föderalen Ebenen.
Eine Überraschung bietet das Gespräch beim Thema der Einstufung im Tarifsystem. Lässt sich die Einstufung eines Musikschullehrers, immerhin eines Hochschulabsolventen, in EG9b nicht doch einmal ändern? Die Entgeltzuordnung ist 37 Jahre alt. Sie wurde 2005 neu verhandelt, aber für alle Berufsgruppen des öffentlichen Diensts gleichzeitig. Musikschulen standen nicht so im Fokus, erinnert sich Langenbrinck.
Der Hauptgeschäftsführer des kommunalen Arbeitgeberverbands NRW stimmt zu, dass die Frage Bachelor/Master damals nicht richtig einbezogen wurde, und dass sich auch das Berufsbild anforderungsreich gewandelt habe. Er schlägt vor, sich in einer Gruppe zusammenzusetzen und einen neuen Vorschlag in das System einzubringen – und dies am besten noch vor der nächsten Tarifrunde 2025. Allein das ist schon ein bemerkenswertes Ergebnis für die Bundesversammlung der öffentlichen Musikschulleiter in Wuppertal.
Für das musikalische Rahmenprogramm sorgt das Landesjugendensemble SPLASH: Perkussion NRW unter Leitung von Ralf Holtschneider. Mit Frank Zappas treibenden Rhythmen eröffneten sie den Kongress und mit einem fulminanten „Trio per uno“ Nebojša Jovan Živkovićs feierten sie die Preisträgerin.
Robert v. Zahn
Fotos: SPLASH und Leiter Ralf Holtschneider in der Historischen Stadthalle Wuppertal. Friedrich-Koh Dolge eröffnet den Kongress. Friedrich-Koh Dolge, Moderator Dr. Michael Köhler, Daniela Schneckenburger, Beigeordnete des Deutschen Städtetags, Marc Elxnat, Beigeordneter des Städte- und Gemeindebunds, und Dr. Bernhard Langenbrinck, Hauptgeschäftsführer des Kommunalen Arbeitgeberverbands NRW in der Stadthalle Wuppertal. Fotos: LMR NRW.