Oft genug wurde gelungene Integration an den Gradmessern Sprachkompetenz, Arbeitsmarktintegration und Anpassung an ein gemeinsames Wertesystem festgemacht. Welche Rolle Kultur bei diesen Dynamiken spielen sollte, blieb unklar. Dabei kann gerade Empowerment, Selbstbefähigung und Kommunikation durch musikalische Praktiken gefördert werden. Musik kann Brücken zwischen der alten und der neuen Heimat schlagen.
Am 24. März diskutierte Moderator Hamzi Ismail in der Sendereihe „WDR 3 Forum“ im Kleinen Sendesaal des Kölner Funkhauses mit dem syrischen Pianisten Aeham Ahmad (Warburg), der amerikanischen Musikwissenschaftlerin und Humboldt-Stipendiatin Rose Campion (Düsseldorf), der Dozentin für Global Awareness an der Eberhard Karls-Universität Tübingen Dr. Glaucia Peres da Silva und dem Dozenten für europäische Musikethnologe an der Universität zu Köln JProf. Dr. Eckehard Pistrick über Chancen und Grenzen kultureller Integration.
Was hat es auf sich mit der Schlüsselfunktion von Sprache? Ist sie tatsächlich der alleinige Zugang zur Integration? Nein, führte Eckehard Pistrick aus, die kreativen Felder sind mindestens ebenso wichtig. Das Erfinden und Singen eines Liedes etwa kann ein wichtiger Prozess sein, der die Kulturen überbrückt. Glaucia Peres da Silva pflichtete bei: Studierende, die über Migration schreiben, müssen bei ihr erst einmal Vorurteile abbauen und die zentrale Rolle von Sprache relativieren. Rose Campion setzt Priorität beim Abbau von Machtstrukturen in Kulturprojekten zur Integration. Wenn die Teilnehmer*innen an der Projektgestaltung beteiligt werden und Expertenwissen einbringen können, ist eine wichtige Gelingensbedingung erfüllt. Zudem bilden sich durch die Projekte Netzwerke, die für das Ankommen wichtig sind.
Kann man das belegen? Wie kann kulturelle Teilhabe gemessen und evaluiert werden? Eckehard Pistrick setzt vor allem auf qualitative Methoden in der Evaluation. Ein messbares Erfolgskriterium ist für ihn die Frage, was mit den Musikern, die in der alten Heimat Stars waren, nun in der neuen Heimat passiert. Ein sehr langer Weg führt im Musikleben des neuen Landes nach oben. Sorgt denn das musikalische Bildungswesen in der Bundesrepublik für Affinität gegenüber der kulturellen Expertise der Migrant*innen? Da sieht die Soziologin da Silva noch Optimierungsmöglichkeiten. Zwar hat sich an den öffentlichen und den privatrechtlichen Musikschulen viel getan, ihr Fächerkanon ist stark gewachsen und ihre Dozentenschaft diverser geworden. Doch in erster Linie wird westliche Kunstmusik gelehrt, so Glaucia Peres da Silva. Auf brasilianische Perkussion beispielsweise stoße man eher in offenen Angeboten zum kreativen Musizieren.
Eine wichtige Rahmenbedingung sieht sie in den Zertifikaten, die in Deutschland den Zugang zum künstlerischen Arbeitsmarkt ermöglichen, und sie lobt den Zertifikatslehrgang der Landesmusikakademie NRW für Musikpädagog*innen verschiedener Kulturen. Aeham Ahmad pflichtet bei. Ohne Zertifikate kommt man in Deutschland kaum zu Erlösen. Nach seiner Ankunft konnte er schon bald öffentlich spielen, doch zu einem regelmäßigen Einkommen kam er in dieser Zeit kaum. Wer weder Mitglied in der Künstlersozialkasse noch fest in Netzwerken verankert ist, tut sich schwer.
Eckehard Pistrick erkennt eine Gelingensbedingung in der Ausstattung der Erstaufnahmeeinrichtungen. Gibt es keine Instrumente und keine räumlichen Übemöglichkeiten, haben es Zugewanderte mit musikalischer Expertise schwer. Das wäre ein erster Ansatzpunkt für Integrationsmaßnahmen. Eckehard Pistrick sieht auch Öffnungsbedarf bei den Universitäten. Lehrformate wie Workshops sind sinnvoller als Seminare und Vorlesungen über außereuropäische Kulturen, wenn sie Affinität zu diesen Musikformen schaffen wollen.
Ist es anderswo besser? Rose Campion sieht in England eine längere Tradition von kultureller Integration. Durch die Kolonialgeschichte gibt es viele Commonwealth-Bürger*innen, die sich um Zugewanderte kümmern. Aber es gibt weniger staatliche Förderung als in NRW. In Brasilien gibt es kaum Menschen ohne Migrationshintergrund und weniger Schwellen vor dem Arbeitsmarkt, schildert Glaucia Peres da Silva, doch die Ressourcen für künstlerisches Arbeiten sind insgesamt geringer. Pistrick erinnert an das beispielhafte Projekt in Venezuela, Kinder aus Favelas an staatliche Kultureinrichtungen zu bringen. Das Programm hat eine Laufzeit von vielen Jahren, während Projekte in Deutschland eher kurz befristet sind. Die deutsche Tendenz zu kurzfristiger Projektfinanzierung sieht er als eine Behinderung langfristig erfolgreicher kultureller Integrationsarbeit.
Was muss besser werden? Rose Campion hat Erfolgsfaktoren gesucht. Der wichtigste ist für sie die Projektgestaltung zusammen mit der Zielgruppe, aber auch eine gründliche Reflexion des Projektverlaufs durch die Verantwortlichen. Und die Grenzen? Schwierige, fast unüberwindbare sind aus Sicht Glaucia Peres da Silvas die politischen Konflikte, die die Zuwanderung ausgelöst haben und die die vertriebenen Menschen in der Regel lange prägen.
Die Veranstaltung wurde im Zuge einer Kooperation von WDR3 mit dem Landesmusikrat NRW durch Sylvia Schmeck (WDR3) und Sandra Hoch (Landesmusikrat NRW) vorbereitet. Der Beitrag für das WDR3 Forum wird am 11. April um 18.04 Uhr gesendet. Das Hineinhören lohnt sich schon aufgrund von zwei Klavierimprovisationen von Aeham Ahmad über westliche und arabische Weisen, die sich auf wunderbare Weise ineinander verschränken.
(Robert v. Zahn)
Fotos: LMR NRW