3. Abend: Schubladen in deutschen Filmmedien
Am 4. Juni trafen in der Kölner Filmpalette fünf Spezialisten für die Berufsbilder zwischen Musik und Film zusammen: Xao Seffcheque (Drehbuchautor & Musiker), Helmut Zerlett (Bandleader - Komponist - VIP), Stefan Brüggenthies (Drehbuchautor & Filmkomponist) und Matthias Hornschuh (Filmkomponist & Publizist). Den dritten Abend von "Film = X + Musik" moderierte Fritz Wolf. Die Runde stritt über den Sinn und Unsinn von "Schubladen" in der Berufsstruktur der Filmbranche bzw. Filmmusikbrache. Die Sterotypisierung der Erwartungshaltung an Kreative gilt für viele Bereiche in den Medien, nicht zuletzt auch für Drehbuchautoren und Filmkomponisten. Diese werden oftmals nicht nur auf ein Genre oder einen Stil festgelegt, sondern auch auf eine konkrete Festlegung ihrer beruflichen Rolle. Was ist mit denen, die mehr können und wollen, mit komponierenden Autoren, mit schreibenden Komponisten"
Helmut Zerlett sieht dieses Problem schon innerhalb der Musik bestehen. Die Gefahr der Etikettierung besteht ständig. In den 1980er Jahren beschäftigte er sich mit künstlerischer Elektronischer Musik, ging aber gleichzeitig mit Marius Müller Westernhagen auf Tournee - ein Image, das er kaum noch los wurde. Seit der Harald-Schmidt-Show gilt er als Spezialist für Zehnsekünder, eine ganz besonders profilierte Schublade in der Branche. Wenn schon die Musikbranche so stark etikettiert, wie naheliegend ist es, Schubladen zwischen Musik, Wort und Bild anzunehmen.
Diejenigen, die die Aufträge vergeben und dabei immer starrer nach vermeintlichen Profilen der "content"-Dienstleister wählen, sind oft genug selbst Opfer der Spezialisierung, meinte Fritz Wolf. In ihrem Verhalten drückt sich nur aus, dass auch auf der Produktionsebene immer stärkere Segmentierung herrscht. Einhellig sah die Runde die Gefahr, dass diese Festlegungen das Innovationspotenzial verschließen. Für die Branche besteht die Gefahr, dass die Innovationen, die von integrativ arbeitenden Künstlern ausgehen können, nicht zum Zuge kommen und Erneuerungspotenziale nicht genutzt werden.
Stefan Brüggenthies vertrat die These, dass sich der Entstehungsprozess eines deutschen Films umgekehrt hat. Noch vor zwei Jahrzehnten stand am Anfang eine kreative Idee, ein Inhalt, der konzipiert und umgesetzt wurde, worauf die Vermarktung des Films begann. Mehr und mehr jedoch diktieren vor allem in Fernsehanstalten die "Mafos", die Marktforschungsuntersuchungen, den Prozess. Am Anfang steht eine Redaktionskonferenz, in der eine Mafo vorgestellt und auf Zielgruppe und erfordertes Produkt hin diskutiert wird. Aus dieser Überlegung heraus wird das Produkt konfektioniert, mit entsprechendem Inhalt gefüllt und mit eigens darauf spezialisierten Dienstleistern hergestellt. Auf der Strecke bleibt die Innovation, die Formate werden in ihrem jeweiligen Bereich einander immer ähnlicher und die Arbeitsteilung wird bis ins Groteske hin konkretisiert.
Xao Seffcheque sieht die Arbeitsteilung immer schon als grundsätzliches berufsspezifisches Merkmal des Films: Doch wenn es früher dabei allein die Schiene "Drehbuchautor" gegeben habe, sei es in den Denkschubladen der Produzenten jetzt eine Schiene wie "Autor von frauenaffinen Stoffen, die auf dem 22.15-h-Format von RTL speziell gegen SAT1 eingesetzt werden können". Wer einmal in derart profilierten Schubladen stecke, finde nie mehr wieder heraus.
Fritz Wolf sprach für alle, als er die berufsspezifische Umwertung in den Filmbranchen dafür verantwortlich machte, die in den letzten Jahren generell dazu geführt habe, dass diejenigen, die für den Inhalt stehen, an Bedeutung verloren haben. Das gelte für Drehbuch wie für Musik. Gegenüber Produktion, Marketing und Regie werden diese Bereich mehr und mehr nachrangig. Das Herabsinken zur bloßen Dienstleistung bringt das Schubladenetikett mit sich.
Damit rückte die fortwährende Entwertung der Inhalte durch die beliebige Beschaffbarkeit aller Produkte im Internet ins Blickfeld, die Matthias Hornschuh besonders für die aktuelle Entwicklung der Berufsbilder verantwortlich machte. Einig war sich die Runde darüber, dass die Zeit absehbar ist, in denen die Schöpfer von Inhalten an der Verwertung ihrer Leistung gar nicht mehr teilhaben werden und dass dann das sich derzeit anbahnende System implodieren wird. Ohne Schöpfer des "content" reißt die Wertschöpfungskette.
Was kann man tun" Matthias Hornschuh fordert größeren Mut, auch die großen Gegner anzugehen. Der Bitkom-Branchenverband, die Vereinigung von 1200 Unternehmen der IT-, Telekommunikations- und Neue-Medien-Branche, ist seiner Meinung nach das Schlimmste, was den Schöpfern von Inhalten bislang geschehen ist. Xao Seffcheque nimmt die öffentlich-rechtlichen Anstalten ins Visier. Wenigstens dort sollte ein weitaus größeres Ausmaß an Transparenz herrschen und die einzelnen Schritte bei der Konzeption einer Produktion nachvollziehbar werden. Das Ausmaß der Machtfülle und schubladengetreuen Auftragsvergabe bei einzelnen Personen sei nicht mehr akzeptabel.
Nach der Diskussion erfrischten sich die Diskutanten und Besucher der Filmpalette an der Vergangenheit und sahen das Frühwerk des Multitalents John Carpenter "Dark Star". Die Geschichte von den hippiehaften Astronauten, die viel zulange durchs All ziehen und schließlich in der Diskussion mit einer Atombombe mit Allmachtsfantasien zugrunde gehen, bedeutete für die 1970er Jahre einerseits eine Skurrilität, andererseits eine tief wirkende Neuerung im Genre. Innovationen dieser Art sind heute schwer zu erreichen. Carpenter komponierte die Musik zu dem Science Fiction, schrieb am Drehbuch mit und führte Regie. Er arbeitete dabei mit Dan O-Bannon und anderen zusammen, die später die Kreativbereiche von etlichen Science Fiction-Blockbustern prägen sollten.
Die Veranstaltung von Landesmusikrat NRW, mediamusic NRW und Filmbüro NW in Verbindung mit der Filmpalette Köln beschloss eine dreiteilige Reihe und wurde vom Ministerpräsidenten des Landes NRW gefördert. Die Organisation lag in den Händen von Hedwig Otten.
rvz
Foto: Helmut Zerlett, Matthias Hornschuh, Fritz Wolf, Xao Seffcheque und Stefan Brüggenthies am 4. Juni in der Filmpalette Köln. Foto LMR NRW.