2. Abend: Musik versus Doku - Was darf Musik im Dokumentarfilm?
Puristen des Dokumentarfilms lehnen den Einsatz von Musik ab. Doch immer selbstverständlicher wird Musik zur Unterstützung der Aussage eingesetzt. Über die Grenzen von Musik im Dokumentarfilm diskutierten am 7. Mai die Dokumentarfilmerin und Cutterin Gesa Marten, der Dramaturg und Produzent Carl-Ludwig Rettinger, der SWR-Hörfunkredakteur Walter Filz, der Regisseur Klaus Stern und der Komponist Andreas Schilling. Der Landesmusikrat NRW hatte in Kooperation mit dem Verband mediamusic und dem Filmbüro NW zur Diskussion in die Kölner Filmpalette eingeladen. Die Veranstaltung, die die Vorführung des Films "Weltmarktführer" von Klaus Stern einschloss, bildete den zweiten Abend einer dreiteiligen Reihe zu den Möglichkeiten und Grenzen der Filmmusik. Das Gespräch moderierte der Drehbuchautor Stephan Brüggenthies vom Filmbüro NW.
Wie berechtigt ist Musik im Dokumentarfilm? Für Walter Filz ist der Einsatz von Musik im Dokumentarfilm selbstverständlich, denn jeder Film arbeitet dramatisch und gestaltet seine Aussage, sei es nun eine ausschließlich visuelle Gestaltung oder auch eine akustische. Gesa Marten plädiert für eine Entideologisierung des Problems. Der Dokumentarfilm will letztlich von Realität erzählen und dies gestalten. Es liegt dabei nicht in seinem Interesse, durch eine Überfrachtung der gestalterischen Mittel an Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Stephan Brüggenthies spielte hierzu eine Szene aus dem Beginn des Spielfilms "Rhythm is it" ein, einen Schwenk über eine graue Hochhausarchitektur verbunden mit pathetischer Musik. Klaus Stern empfindet diese Szene schon als Parodie eines Dokumentarfilms, Carl-Ludwig Rettinger urteilt milder, denn der Gegenstand des Films habe viel mit Musik zu tun, insofern sei der geballte Einsatz legitim. Andreas Schilling widerspricht. Für ihn ist diese Szene wesentlich überfrachtet, eine kontrastierende Musik hätte das Anliegen des Films wirkungsvoller vermittelt. Rettinger plädiert für eine emotional wirksame Musik: "Wir sind emotional unterbelichtet. Auch deshalb gehen wir ins Kino." Das hänge mit der deutschen Geschichte zusammen. Das deutsche Feuilleton würde es zwar als gefährlich empfinden, aber ein Dokumentarfilm müsse etwas zum Ausdruck bringen, was das Abbild nicht hergebe. Gesa Marten nimmt ihm das Mikrophon weg: Vorsicht sei geboten, Musik dürfe nicht etwa eine leere Fläche im Film füllen, allenfalls ein Lächeln verstärken.
Walter Filz hält dagegen, dass die Musik schon deshalb emotional sein darf, weil die Bilder es oft genug auch seien. Die Musik ist für ihn Informationsträger des Nicht-Sichtbaren: "Im Grunde sind Filme mit Musik ehrlicher als solche ohne Musik, die so tun, als seien sie nicht inszeniert." Für Rettinger darf der Komponist dabei auch über die Intention des Regisseurs hinausgehen. Der Komponist verfüge ebenso wie der Kameramann, der Beleuchter und andere über Know-how, das über das des Regisseurs hinausginge. Insofern wäre es ihre Aufgabe, das vom Regisseur angelegte zu verfeinern und zu verbessern. Im gemeinsamen Prozess müsse der Film von der Kreativität und dem Hineindenken aller profitieren.
Stephan Brüggenthies protestiert: Ist es denn nicht in der Realität oft genug so, dass der Regisseur diese Verfeinerungen ablehnt mit dem Argument, er habe es doch ganz anders gewollt" Andreas Schilling bejaht dies. Als Komponist versteht er sich als Dienstleister, der eine hohe kommunikative Qualität mitbringen müsse. "Zu meinem Job gehört es, dass mir ständig jemand reinredet. Das ist okay so."
In der dritten Veranstaltung der Reihe "Film = X + Musik" am 4. Juni befasst sich eine Diskussionsrunde mit den berufsspezifischen Aspekten dieser Fragen, vor allem mit der Stereotypisierung der Erwartungshaltungen an die Kreativen von Film und Musik.
Die Veranstaltung von Landesmusikrat, mediamusic und Filmbüro NW wurde von der Filmpalette Köln und von soundtrack_Cologne unterstützt und vom Ministerpräsidenten des Landes NRW gefördert.
rvz
<link fileadmin user_upload lmr-nrw.de newsdateien bericht_filmmusikdiskussionen_ii.pdf _blank>Bericht zur Diskussion am 7. Mai 2009 (PDF-Datei, 9 KB) ...
<link fileadmin user_upload lmr-nrw.de newsdateien filmmusikdiskussionen_2009.pdf _blank>Zum Programm (PDF-Datei, 73 KB) ...
Foto oben: Plakat zum Film "Weltmarktführer"; Verleih realfiction.
Foto unten (v.l.n.r.): Stephan Brüggenthies, Andreas Schilling, Klaus Stern, Walter Filz, Ludwig Rettinger, Gesa Marten in der Filmpalette Köln