Vom 26. bis zum 28. April fand in Essen ein kleiner Weltkulturgipfel statt. Die UNESCO Deutschland brachte die 27 EU-Staaten und gut 35 weitere Nationen zusammen, um mit ihnen die Umsetzung der UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt zu diskutieren. Neben der deutschen UNESCO-Kommission trugen auch das Essener Kulturhauptstadtbüro und die deutsche EU-Ratspräsidentschaft die Konferenz. Und als Fachpartner war der Landesmusikrat NRW einbezogen, der eine der insgesamt zehn Diskussionsrunden sowie das Musikprogramm einer Abendveranstaltung im RWE-Pavillon der Philharmonie Essen ausrichtete.
Am 18. März 2007 trat das UNESCO-Abkommen zum Schutz der kulturellen Vielfalt in Kraft. Außer der EU haben es inzwischen unter anderem auch Brasilien, Mexiko, China, Indien und Südafrika ratifiziert. Das Übereinkommen soll das kulturelle Leben und seine Eigenheiten in den Ländern und Regionen gegen übermächtige Marktinteressen und Vereinheitlichungstendenzen schützen. Auch im Bereich des Musiklebens kann es positive Auswirkungen haben und Ansätze zu Problemlösungen bieten.
Im Forum "Unerhört: Musik" diskutierten Michel Lambot, der Mitbegründer des Labels Pias und der Koalition Impala gegen Marktmonopolisierung, Fruzsina Szép vom Ungarischen Musikexportbüro, Carlos de Andrade jr., Präsident der Brazilian Independent Music Association, Annamaija Saarela, Geschäftsführerin des UMO Jazz Orchestra, des UMO Jazz House und des UMO Jazz Festival in Helsinki, Talia Bachir, französische Wissenschaftlerin mit Schwerpunkt "Weltmusik", Beat Santschi, Sprecher der Schweizer Koalition für kulturelle Vielfalt, und Jean-François Michel vom European Music Office in Belgien.
Werner Lohmann, Präsident des Landesmusikrats NRW, begrüßte die UNESCO-Tagungsgäste im Forum und skizzierte, inwieweit innerhalb des Dachverbands der Musikverbände kulturelle Vielfalt bereits gelebt wird. Er übergab das Wort an Thomas Sternberg, den Kulturpolitischen Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, der die Moderation der Runde übernahm.
Beat Santschi leitete aus einem eigenen Kurzreferat und aus den Beiträgen der Runde zehn Thesen und Handlungsvorschläge an die Politik ab, die nahezu einhellige Zustimmung fanden:
1. Die Europäische Kommission zeigt eine Tendenz gegen kulturelle Vielfalt, zum Beispiel bei ihrem Vorstoß gegen die Vergütung der Privatkopien. Diese Abgaben dienen aber, vermittelt durch die Verwertungsgesellschaften, zu einem Teil auch der Förderung kultureller Vielfalt.
2. Die Europäische Kommission steuert auf eine Fusion der Verwertungsgesellschaften hin. Diese Entwicklung birgt große Gefahren, denen entgegengetreten werden muss. Das künstlerische und kulturelle Engagement, auch für kulturelle Vielfalt, das nationale Verwertungsgesellschaften wie die GEMA im eigenen Lande zeigen, ist von einer vereinigten Gesellschaft nicht in zu erwarten.
3. Die Rahmenbedingungen der Kulturschaffenden müssen verbessert werden. Gerade in Hinsicht der kulturellen Vielfalt ist die derzeitige europäische Entwicklung bei den Sozialleistungen für die Kulturschaffenden mit Sorge zu sehen. Der entsprechende Dialog mit der Europäischen Kommission hat gerade erst begonnen.
4. Die öffentliche Wertschätzung der Musik und aller ihrer Stilrichtungen muss auch in der Politik anerkannt sein bzw. verbessert werden.
5. Der Stellenwert des Musikunterrichts in und außerhalb der Schule muss generell erhöht werden. In der Schweiz ist Musik als Schulfach faktisch abgeschafft. Mit großem Neid sieht man in der Schweiz Landesprojekte wie "Jedem Kind ein Instrument" im Ruhrgebiet.
6. Der Wert von kultureller Vielfalt muss schon in der Ausbildung der Kinder vermittelt und in die Lehrpläne eingebracht werden.
7. Das Urheberrecht muss im Sinne der Urheber gestärkt und keineswegs auf Druck von Internetprovidern beschränkt werden.
8. Steuererleichterungen sollten die Produktionen von einheimischer Musik im Lande fördern und auf diese Weise die kulturelle Vielfalt in den Musikproduktionen unterstützen.
9. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist einer der wichtigsten Garanten kultureller Vielfalt und muss unterstützt werden. Bei privaten Rundfunkstationen ist generell die Verengung des Musikprogramms zu beobachten. In Belgien hört man nur 5 % der einheimischen Musikproduktion im Radio. (Die Diskutanten vertraten unterschiedliche Meinungen zum Sinn von Rundfunkquoten zugunsten einheimischer Musikproduktionen.)
10. Die Organisationen der Zivilgesellschaft, die für kulturelle Vielfalt stehen, müssen generell gestärkt werden. Das gilt insbesondere auch für Musikergewerkschaften und Produzentenverbände.
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Foto oben: Forum "Unerhört: Musik" mit Prof. Dr. Werner Lohmann, Talia Bachir, Annamaija Saarela, Fruzsina Szép, Prof. Dr. Thomas Sternberg, Michel Lambot, Carlos de Andrade jr. (von links nach rechts)
Foto unten: Die Gruppe Los Chupacabras am 27.4. im RWE-Pavillon der Philharmonie Essen