Zur Soundtrack Cologne führten Landesmusikrat NRW und das Festival am 27. November eine Expertenrunde im Kölnischen Kunstverein zusammen, die die Bedeutung von Musik im Kinderfilm hinterfragte. Matthias Hornschuh moderierte ein Gespräch zwischen Sinem Sakaoglu, Petra Kappler, Andrea Ziem, Tobias Becker und Horst Peter Koll.
Es war ein glücklicher Umstand, dass Sinem Sakaoglu gerade erst eine Zielmarke für Musik im Kinderfilm gesetzt hatte: Ihre brillante Kino-Adaption des "Sandmännchens" wurde einhellig als Musterbeispiel begrüßt, wie Musik im Kinderfilm verantwortungsvoll eingesetzt werden kann. Als wichtigste Forderung stellte sie in den Raum, dass sich Filmemacher und Komponisten mit großer Ernsthaftigkeit an ihre Filme begeben müssen, auch wenn diese heiter gemeint sind.
Petra Kappler, Leiterin des Lucas-Kinderfilmfestival in Frankfurt, hat das "Sandmännchen" im September 2010 dem hessischen Familienpublikum vorgestellt. Wie aufwändig es sein kann, einen Kinderfilm zu musikalisieren und sei er auch noch so kurz, hatte sie gerade erst bei der Produktion ihres Festival-Trailers erfahren. Auch Andrea Ziem weiß darum, wie differenziert Musik zu Kinderfilmen geschrieben und eingesetzt werden muss. Sie ist Producer bei Studio TV Film Berlin und sorgt u.a. für die Serie "Löwenzahn".
Aus der Perspektive der Komponisten selbst reflektierte Tobias Becker die Leitfrage. Er komponiert fantasievolle Musik für das Kinderfernsehen, für „Die Sendung mit der Maus“ und für „Die Sendung mit dem Elefanten“. Journalistisch begleitet Horst Peter Koll diese Filme als Chefredakteur des "Filmdienstes", aber auch als Herausgeber der "Edition Filmmusik in Deutschland". Koll führte das Publikum mit einen Impulsreferat in das Thema Kindermedien ein:
Das Medium Musik im Film wurde seiner Meinung nach lange Zeit unterschätzt. Mittlerweile aber wird es verstärkt reflektiert. In erster LInie ist der Kinderfilm als wichtiges Marktelement erkannt worden, seine Kino-Plots werden zumeist aus bestehenden Marken abgeleitet, TKKG, Die wilden Hühner, Die Wilden Fußballkerle u.a. Figuren anderer medialer Herkunft bevölkern die Bildschirme und Leinwände. Es wird immer schwerer, so Koll, einen Originalstoff ins Kino zu bringen. Das Fernsehen hat früher Kinderspielfilme unterstützt, zieht sich aber mehr und mehr zurück. Um das Medium zu beleben, braucht es aber originäre Stoffe, weil die Nähe zu den Kindern nur so adäquat hergestellt wird.
Matthias Hornschuh würdigte die Leistungen, die zum "Sandmännchen" führten, ein Füllhorn an Angeboten, aus denen Kinder wählen können. Sinem Sakaoglu führte aus, wie das ursprüngliche Sandmännchen-Konzept zu dem der Traumlandschaft entwickelt wurde. Oliver Heuss musste den spielerischen Ansatz der Imaginationen in die Musik übernehmen. Hornschuh empfand die Filmmusik als eine Ausleuchtung des Szenarios, doch Sakaoglu ergänzte, dass sie auch die Charaktere der Figuren konkretisiert. Jede Hauptfigur hat deshalb ihr musikalisches Thema.
Wie weit aber darf die Musik zum Film erschrecken? Sinem Sakaoglu führte eine Szene vor, in der der böse Habomar mit einem Wirbelsturm Angst und Schrecken verbreitet. Sie brauchte diese Szene im Film, nicht als Selbstzweck, sondern als Element der Erzählung. Die Empathie von Kindern darf nicht überstrapaziert werden, die Musik kann die Emotionalität einer Szene wesentlich aufladen oder entschärfen. Doch das Entschärfen darf nicht auf Kosten der Ernsthaftigkeit des Films gehen.
Hornschuh fragte Petra Kappler scherzhaft, ob es traumatisierte Kinder bei der Premiere in Frankfurt gegeben habe. Die Festivalleiterin verneinte dies, schilderte aber, wie sich ihr Team ganz ähnliche Fragen gestellt hatte, als es einen animierten Trailerfilm zum Festival erstellte, bei dem eine Ratte eine Laterna magica startet. Die Wahl der Musik war eine zeitraubende Angelegenheit, mehrere Konzepte und Demo-Versionen wurden verworfen. Thomas Mehlhorn komponierte schließlich die jetzt verwendete Filmmusik.
Petra Kapplers Ideal ist es dabei, dass Musik und Bild "in eins gehen" müssen. Kann das Lucasfilmfestival einen Film aufgrund seiner Musik ablehnen? Petra Kappler schloss das nicht aus. Musik ist eine der Komponenten, die von der Jury beurteilt werden. Sie kann dramaturgisch schlecht platziert sein, sie kann auch einfach schlecht geschrieben sein. Petra Kappler lehnt alle Filme ab, in denen bestimmte Effekte auf Tasteneindruck eingesetzt werden. Der Film muss auch dann eine Ernsthaftigkeit mitbringen, wenn er lustig ist.
Tobias Becker wohnte in Köln und kam deshalb zum Kinderfernsehen, weil er jemanden kannte, der für „Die Sendung mit der Maus“ zeichnete. Danach machte Becker eineinhalb Jahre nichts anderes als Kinderminiaturen fürs Fernsehen, „Die Sendung mit der Maus“ und „Die Sendung mit dem Elefanten“. Bei der täglich ausgestrahlten „Sendung mit dem Elefanten“ hatte er oft nur ein bis zwei Stunden Zeit, spontan auf Filme musikalisch zu reagieren.
Auch Becker stellte sich der Frage, wie gruselig ein Kinderfilm sein darf, und zeigte als Beispiel einen Halloweenfilm, einen animierten Puppenfilm. Das animierte Geistertreiben in einem Kinderzimmer unterlegte Becker zunächst mit einem langsamen schweren Groove, der aber dann auf Wunsch der Redaktion reduziert wurde, weil er zu den darauf gelegten Kinderstimmen nicht passen wollte. Kindermusik soll nach Meinung Beckers kein Klischee-Instrumentarium mit Glockenspiel etc. nutzen, sondern das gleiche wie Musik für Erwachsene.
Andrea Ziem gibt für Studio TV Film Berlin Filme in Auftrag, auch deren Musik. Wie gestaltet sich der Prozess von der Idee zur Tonspur? Als Producerin ist sie Kontaktperson zwischen der Redaktion und dem Team, das den Film herstellt. Das Konzept der Musik wird mit dem Regisseur und dem Komponisten erarbeitet, es wird dann nicht eigens von der Redaktion abgenommen. Manchmal bringt der Regisseur einen Komponisten mit, manchmal wird einer aus einem Pool des Studios gewählt, so etwa für die "Löwenzahn"-Folgen, manchmal wird ein neuer Künstler gesucht. Sie zeigte als Filmbeispiel einen Rohschnitt aus „Löwenzahn“, in dem Fritz Fuchs in einem unheimlichen Ambiente Fledermäusen nachspürt. Bei der Abnahme des Rohschnitts mahnte die Redaktion sofort an, bei der Unterlegung der Filmmusik behutsam vorzugehen.
Das junge Zielpublikum ist weit weniger wählerisch, vermutete Matthias Hornschuh. Die Ästhetik eines Oliver Pocher habe dort längst gegriffen und die Filmemacher und Komponisten müssten sich fragen, wie man damit umgeht. Sakaoglu bekannte, dass sie stur sei und bei ihren Qualitätsmaßstäben bleiben würde. Auch Kappler wollte die Prinzipien der Filmauswahl ihres Festivals nicht zur Disposition stellen.
Becker wies darauf hin, dass es bei Produkten für Kinder auch den Zusatzfilter der Eltern gebe. Der könne Schlimmes verhindern, dränge die Komponisten aber zuweilen auch sehr in Richtung Xylophon-Besetzung. Horst Peter Koll stellte dies vor den Hintergrund der unterschiedlichen Sozialisation in verschiedenen Regionen und Ländern. Einig waren sich alle darin, dass die Ernsthaftigkeit, mit der ein Film für Kinder und seine Musik erarbeitet werden, ausschlaggebend dafür sind, wie sensibel der Film mit den Kindern umgeht.
rvz
Flaschenpost an die Zukunft - Musik im Kinderfilm: Wie bekommt Musik in Kindermedien Qualität? Mit Tobias Becker, Komponist, Petra Kappler, Festivaldirektorin LUCAS, Sinem Sakaoglu, Regisseurin, Andrea Ziem, Producer, Horst Peter Koll, FILM-DIENST. Mod.: Matthias Hornschuh.
Eine Veranstaltung des Landesmusikrats NRW in Kooperation mit SoundTrack_Cologne, präsentiert von FILM-DIENST, gefördert vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport.
Foto 1: Matthias Hornschuh, Sinem Sakaoglu, Regisseurin, Andrea Ziem, Producer, Petra Kappler, Festivaldirektorin LUCAS, Tobias Becker, Komponist, Horst Peter Koll, FILM-DIENST, im Kunstverein, 27.11.2010. Foto 2: Matthias Hornschuh, Sinem Sakaoglu. Fotos: LMR NRW.