Ulla Oster und Christina Fuchs lehrten in Bielefeld
"The flame-red moon, the harvest moon, rolls along the hills, gently bouncing, a vast balloon"" Etwas irritiert starren die Musikerinnen des Workshops "Freispiel" auf die Gedichtvorlage, die ihnen Sängerin Hanna Schörken austeilt. Ein Gedicht! " zwar ein wunderbares Gedicht von Ted Hughes (1930"1998), doch erwartet hatten sie ein musikalisches Konzept. Bereits ein ganzes Wochenende lang haben Ulla Oster und Christina Fuchs die Musikerinnen in der Kunst der Improvisation unterwiesen, haben selbst vorgemacht, wie man sich Gedanken per Instrument zuspielen und wie man die Antworten gemeinsamen weiterspinnen kann.
Eine Kollektivimprovisation kann ganz frei sein, sie kann sich aber auch an einem Rahmenkonzept abarbeiten und bietet dem Hörer dann in der Regel mehr " das haben die Musikerinnen gelernt. Und es folglich willig hingenommen, dass sie sich bis zum zweiten Wochenende ein solches Konzept überlegen sollen, vielleicht die Vorgabe von Grundmotiven oder die eines Grooves oder irgendeine Anregung, die die Kreativität der Gruppe gebündelt in Gang setzt. Doch ein bloßes Gedicht, verbunden mit dem kargen Hinweis, dass sie sacht spielen mögen, nacheinander einsetzen, jede die vorher schon geäußerten Gedanken aufnehmen, ansonsten aber auf die Gestik von Hanna Schörken achten möge " das ist nicht viel. Und doch sehr viel.
In erstaunlich suggestiver Weise lenken Hughes' Verse und nicht weniger die folklorehafte Art, in der Hanna Schörken sie singt, das Spiel der Musikerinnen. Kontrabassistin Jule Balandat, die schon den Workshop von 2007 besuchte, eröffnet das Klanggedicht, in dem sie mit Fellschlägeln auf den Korpus ihres Instruments schlägt. Fliehende Klänge eines Violoncello kommen hinzu, Schlagzeugerin Ella O"Brian-Coker fällt mit zu lautem Rhythmus ein und Dozentin Ulla Oster bremst sie, drückt auch ihr einen Fellschlägel in die Hand und bedeutet ihr, dass man statt grooven auf einem Schlagzeug auch Klänge malen kann.
Saxophon- und Violinkantilenen umspielen den Harvest Moon, Schörken gibt ein Crescendo vor und lässt unvermittelt abbrechen. In die Pause singt sie fast unhörbar die letzten Worte des Gedichts "Till the gold fields of stiff wheat cry 'We are ripe, reap us!' and the rivers sweat from the melting hills." Alle sind erstaunt, wie sensibel das zusammenkam, und am überraschtesten wirkt Hanna Schörken selbst: "Fand ich irgendwie gut."
Veranstalter des Workshops sind der Landesmusikrat NRW und der Bunker Ulmenwall Bielefeld. An zwei Wochenenden kommen Ulla Oster, Christina Fuchs und die Teilnehmerinnen in der Musikschule POW in Bielefeld zusammen, um dann im Bunker Ulmenwall am 9. November ihre Ergebnisse zu präsentieren. Kerstin Belz übernahm die Organisation des Workshops, die Geschäftsführerin des Bunkers Kornelia Vossebein hieß die Musikerinnen in der wichtigsten Jazzstätte Ostwestfalens willkommen. Der Landesmusikrat richtet den Workshop mit Mitteln des Ministerpräsidenten des Landes NRW aus.
Die Vorgaben für die Kollektivimprovisationen, die die Musikerinnen ersonnen haben, könnten unterschiedlicher kaum sein, sind konkret festlegend oder nur grob skizzierend oder beschränken sich gar auf die Vorgabe einer einzigen Komponente. Letzteres erweist sich als am schwierigsten. Die einzige Vorgabe, einen 11/8-Takt zu spielen (3+3+2+3), wird fast zur Überforderung des kollektiven Improvisierens. Zum einen, weil es rhythmisch halt nicht einfach ist, zum anderen, weil die Musikerinnen ein Ziel sehen wollen. Erst als Ulla Oster den Grundrhythmus am Keyboard mitspielt und die Musikerinnen gemeinsam einen einfachen Formaufbau vorgeben, entwickelt sich das musikalische Geschehen organisch.
Am Nachmittag des 9. November erklingen die Stücke in einem öffentlichen Konzert im Bunker Ulmenwall. Nur selten vernimmt man hier neben Bläsern und Perkussion auch Violinen, Violoncello und gestrichenen Kontrabass, doch in den Kellergewölben wirken auch sie indigen. Manches in den Stücken ist noch mit heißer Nadel gestrickt, doch alles von Esprit getragen und unverkennbar von großer Lust an der Improvisation.
Foto oben: Workshop-Teilnehmerinnen in der Musikschule POW in Bielefeld mit Jazz-Dozentin Ulla Oster (sitzend in der Mitte)
Foto unten: Abschlusspräsentation von Workshop-Teilnehmerinnen am 9. November im Bunker Ulmenwall in Bielefeld
Fotos: Kerstin Belz