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Konzerte des BuJazzO und des Jugendjazzorchesters NRW in Köln

Am 10. und 11. Oktober erlebte Köln gleich drei Bigband-Konzerte, zwei des BuJazzO im Alten Pfandhaus und eines des Jugendjazzorchesters NRW im Studio Dumont. Wer Sorge hatte, dass das Kölner Publikum hierfür zu klein sei, wurde durch drei volle Säle eines Besseren belehrt. Bemerkenswerter noch ist die Überzeugungskraft mit der die Bands die Spannbreite sowohl von älterem als auch von zukunftsweisendem Repertoire abstecken.

Edelhagen remembered: Am Abend des 10. Oktober werfen das BuJazzO und Jiggs Whigham einen Blick zurück auf die Programme des Orchesters Kurt Edelhagen aus den 1960er und frühen 1970er Jahren, etwa auf die Arrangements, für die Bora Rokovic – ab 1961 Pianist Kurt Edelhagens – sorgte. Rokovics „Inner Urge“ nach Joe Henderson und „The Midnight Sun Never Sets“ nach Quincy Jones spannen den Bogen auf, aus dem sich etwa die Ästhetik Peter Herbolzheimers entwickelte, der das BuJazzO über viele Jahre geprägt hat und dessen „A Night In Tunesia“ nach Dizzy Gillespie auch jetzt im Alten Pfandhaus wieder Begeisterungsstürme hervorruft. Die meisten Arrangements, die das BuJazzO spielt, sind älter als die Musikerinnen und Musiker in seinen Reihen, doch die Band bringt die Klassiker mit einem Enthusiasmus an den Mann, als seien diese der unmittelbaren Umgebungskultur ihrer Mitglieder entwachsen.

Das könnte vielleicht sogar stimmen: Immerhin stellten Edelhagens Musiker ab 1958 auch einen guten Teil der Dozenten des entstehenden Jazz-Studiengangs an der Kölner Musikhochschule, deren Schüler wiederum auf die regionale Szene einwirkten. Einige Mitglieder des BuJazzO sind Enkel- und Urenkelschüler dieser Hochschulgeneration. Und BuJazzO-Leiter Jiggs Whigham kam 1965 als Solist des Edelhagen-Orchesters nach Köln und übernahm 1979 die Leitung der Jazz-Abteilung der Hochschule. Er moderiert das Konzert mit etlichen Anekdoten aus dieser Tradition und leitet die Band mit knappen, lässigen Handbewegungen – jeder Ton sitzt und jedes Arrangement klingt jung.

Back to the roots: Fans des Jugendjazzorchesters NRW sehen im Alten Pfandhaus mit Stolz und Bedauern zugleich, wie groß der Anteil von ehemaligen Musikern des Landesjugendensembles im BuJazzO ist und wie brillant diese nunmehr im BuJazzO spielen. Verkraftet das Landesensemble einen solchen Aderlass? Dessen „next generation“ tritt am Sonntagspätnachmittag im Studio Dumont an. Eingeladen hat Paul Heller, Kurator der Konzertreihe im Studio. Auch er hat an der Kölner Hochschule studiert, 1987 bis 1988 im Jugendjazzorchester NRW gespielt und 1989 bis 1991 im BuJazzO. Seit 2005 ist er Tenorsaxofonist der WDR Bigband und so steht er prototypisch für den Werdegang durch Auswahl-Ensembles.

„Endlich einmal eine Bigband mit sechs Saxofonen“, freut er sich, nachdem er gleich zu Beginn des Konzerts die Saxofongruppe in seinem Stück „Felicidado“ verstärkt hat. Stefan Pfeifer leitet bei den ersten Titeln die Band, bei späteren Titeln übernimmt Gabriel Perez. Auch das Programm des Jugendjazzorchesters reflektiert Vergangenheit, denn im 40. Jahr seines Bestehens zieht es mit einem bilanzierenden Jubiläums-Repertoire durch die Konzertsäle. Viele Titel stehen in swingender Bigband-Tradition, andere spielen mit den Klangfarben des Orchesters, „Lovely“ etwa, ein Stück, das Paul Heller in den 1990er Jahren mit ins Schleswig-Holstein-Festival zu Bob Brookmeyer brachte. Brookmeyer öffnete damals das Festival mit einer Masterclass in Richtung Jazz, und „Lovely“ sollte die Klangfarben des neuen Klangkörpers ausloten. Das Stück funktioniert auch heute: Das NRW-Orchester schillert im Studio Dumont in allen Edelsteinfarben und erschafft eine ästhetische Brücke zu Arrangements, mit denen wenig später Niels Klein das BuJazzO im Alten Pfandhaus zum Oszillieren bringen wird.

Arrangements aus den älteren Zeiten des Jugendjazzorchesters sind Glen Buschmanns "Fasten Seatbells" und Wolfgang Breuers "Back to the Roots". Ihren Charme haben sie nicht verloren. Eine "Samba Du Commerce", komponiert von Hellers Lehrer Wolfgang Engstfeld und arrangiert von Paul Heller, tanzt herzerfrischend durch das Studio. Gabriel Perez am Leitungspult sorgt mit seinem argentinischen Elan für den Drive. Tänzerisch ist auch „Helma’s Waltz“ von Meinard Puhl, einem der Gründungsleiter des Jugendjazzorchesters, der im vergangenen Jahr verstarb. Jazzer können keinen Dreiertakt? Diese hier spielen derart wienerisch, dass manche im Publikum sich im Dreier zu wiegen beginnen.

Cole Porters „What Is This Thing Called Love“ erklingt in einem Arrangement Paul Hellers, Sängerin Charlotte Illinger nimmt den Klassiker herb und rhythmisch akkurat, die Instrumentalteile vokalisiert sie elegant mit. Faszinierend wie dieser Standard Porters immer wieder neue Charaktere annehmen kann und mehr noch, welches Leben die aktuelle Besetzung des Jugendjazzorchesters ihm entlockt.

Groove and the abstract truth: Gibt es nicht auch spezifisches Repertoire für Bigbands, das nach vorne strebt? Wir wechseln wieder ins Alte Pfandhaus. Niels Klein hat kein Jubiläum zu feiern, sein Auftrag ist es, mit dem BuJazzO das zu erforschen, was die Bigband in die Zukunft führt. „Niels Klein hat für Sie das heißeste Zeug auf der Straße zusammen gekauft, was man in dunklen Ecken bekommen kann,“ erzählt Dominik Seidler, Projektleiter des BuJazzO, dem Publikum am Sonntagabend, und mit Klangschwaden geht es los in die Schnittstellen zwischen Bigbandjazz, Indierock und Popelektronik.

Niels Klein sammelt avancierte Musik der Gegenwart aus allen Sparten, er arrangiert, moderiert und dirigiert. Und er komponiert: Seine „Worn Out Lovesong Machine“ beschreibt eine abgenutzte Jukebox, die in der Ecke einer Weltraumkneipe Liebeslieder spielen soll, es aber nicht mehr so richtig kann: Die Emotionen gehen durcheinander, Versatzstücke verschieben sich, Taktwechsel rucken. Sängerin Veronika Morscher verleiht der Maschine eine ätherische, aber durchbrochene Singstimme. Kleins Komposition „Sweep“ kombiniert den Klang eines Synthesizers mit dem der Band zu einem psychedelischen Gemälde. Ein Flügelhornsolo von Fritz Moshammer steigert sich hinein in wirbelnde Bläserblöcke der Band über einem stur stampfenden Groove.

Dazu die Werke Anderer: Der finnische Jazzgitarrist und Komponist Kalle Kalima schreibt überwiegend „Small Band Sätze“, legte aber auch zwei Suiten für Bigband vor. Eine vertont Charaktere aus Filmen Quentin Tarantinos: „Mr. Wolf“ ist der „Cleaner“ aus Pulp Fiction, und die coole Skurrilität dieses Films prägt auch die Tonsprache Kalimas. Frank Wingold, Jazzgitarrist und Professor an der Musikhochschule Osnabrück, ist sogar „bekennender Bigband-Ablehner“, so kommentiert Niels Klein sein Arrangement von Wingolds „Broken“. Die Sängerin Mirna Bogdanovic singt „Broken“ mit schwebenden Kantilenen über Repetitionsfiguren der Gitarre, dann der Bläser, dazwischen ertastet Konstantin Döben mit einem mystischen Flügelhornsolo die Kluft im dem, was auch immer da gebrochen ist.

Die Komposition „Trost im Stich“ des Songwriters und früheren BuJazzO-Mitglieds Tobias Christl, arrangiert von Klein, zeigt Vokalensemble und Band von der furiosen Seite. Die Bläserfanfaren schneiden ineinander, die Sänger setzen Akzente darüber. Ein BuJazzO-Programm, das in die Zukunft der Bigbands weist und vor Ort in eine Zugabe wiederum von Kalle Kalima mündet: „Stockmarket Crash on the Planet Boo Boo“ mit Rockgrooves, über denen die Bläsersätze und Chordeklamationen auf mehreren rhythmischen Ebenen ineinander fahren. Aus dem Chaos schälen sich „no credit“-Ausrufe der Sänger heraus – das Ganze mit Verve und Präzision geboten. Was für eine Band!

rvz

Fotos: Charlotte Illinger, Paul Heller und das Jugendjazzorchester NRW am 11. Oktober 2015 im Studio Dumont Köln; das BuJazzO unter Leitung von Niels Klein am 11. Oktober im Alten Pfandhaus Köln; das BuJazzO unter Leitung von Jiggs Whigham am 10. Oktober im Alten Pfandhaus, Saxofonsolo Tim Sammel aus Bergheim; Fotos: Gerhard Richter.