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Musikkulturen: Die Unsichtbaren sichtbar machen - eine Podiumsdiskussion in Köln

In NRW und insbesondere in Köln sind bemerkenswerte Szenen kultureller Vielfalt zuhause. Das Musikleben weist Verschmelzungen, aber auch abgeschottete Biotope von Herkunftskulturen auf, die man nur als kulturellen Reichtum empfinden kann. Doch finanziell reich sind sie nicht, vielmehr scheinen sie bei kulturpolitischen Entscheidungen und dem Aufsetzen von Förderprogrammen oft unsichtbar zu sein. Der Verein Globale Musik Köln hat es sich zur Aufgabe gemacht, sie sichtbar zu machen, und im Rahmen dieser Arbeit lud er am 6. September 2023 zu einer Podiumsdiskussion in die Lutherkirche der Kölner Südstadt ein: "In Indien ist Beethoven Weltmusik", moderiert von Dr. Lale Akgün.

Der Ort war nicht zufällig gewählt, denn diese Kirche ist dank des Engagements von "Südstadt Leben" eines der wichtigsten Foren der musikalischen Vielfalt in Köln. Das Duo Tarantatá - die Tänzerin Elena Martino und der Akkordeonist Coco Kausch - gehört zu der Szene, die sich hier begegnet. Es bot der Diskussion einen graziösen und schwungvollen Rahmen. Britta Renes sorgte für den reibungslosen Ablauf der Veranstaltung.

Der Verein Globale Musik Köln stellte in der Veranstaltung seinen eigenen Namen zur Disposition, denn die Begriffe „Weltmusik“ und auch „globale Musik“ sind seit einiger Zeit in die Kritik geraten. Können diese Bezeichnungen die Fülle der musikalischen Feinheiten und Differenzierungen abdecken? Werden sie der musikalischen Qualität gerecht? Soviel ist klar, bekannte die Musikwissenschaftlerin Rose Campion, die eine Vertretungsprofessur an der Universität zu Köln inne hat: Mit dem einstigen Begriff der kulturell usurpierenden „Weltmusik“ möchte der Verein nichts zu tun haben. Als Globale Musik Köln möchte der Verein den Facettenreichtum und die Qualität der Musikformen in Köln stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken. Und kulturpolitische Unterstützung einwerben. 

Die regierenden Fraktionen in Köln und in NRW möchten hier in der Tat unterstützen, sie wollen Produktionsmöglichkeiten schaffen und Räume öffnen, so erklärte Frank Jablonski, Kulturpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion der Grünen, also einer Regierungsfraktion. Ihm ist der kulturelle Wert dieses Musiklebens für die Gesellschaft bewusst. Andere auf dem Podium sehen auf diesem politischen Weg große systemimmanente Widerstände. Der Sänger, Komponist und Pädagoge Rabih Lahoud begrüßt das Anliegen von Globale Musik Köln grundsätzlich. Es sei wichtig, die unsichtbaren Kulturen für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Man müsse sich aber darüber im klaren sein, dass man damit überhaupt erst einmal die weit verbreitete rassistische Wahrnehmung sichtbar mache. Die heute herrschenden kulturellen Gegensätze haben sich über 500 Jahre hinweg entwickelt. Sie sind so selbstverständlich geworden, dass kulturenverbindende Arbeit für viele erst das Andere wahrnehmbar macht, was sie bislang nicht wahrgenommen haben. 

Rabih Lahoud kritisiert rassistische Strukturen in der Hochschulausbildung. In den Jazzstudiengängen gebe es keine POC-Dozentinnen und -Dozenten. Die hoch geförderten Hochschulen würden sich der Vielfalt und der Veränderungen der Stile verschließen. Deshalb wüssten auch hoch qualifizierte Musikerinnen und Musiker wenig von den Unterschieden zwischen den Kulturen. Die Hochschulen würden sich sperren. Cheikh Djibril Kane beschäftigt sich mit afrikanischen Kulturen in Deutschland, er arbeitet beim Afrika Filmfestival Wuppertal mit und für die Band Mama Afrika. Er ortet afrikanische Musikformen überall in seiner Lebensumgebung, in der globalen Musik und in der Kulturgeschichte. Doch so prägend afrikanische Wurzeln im kulturellen Geschehen sind, so wenig sei dies der Gesellschaft bewusst. Er will das Zusammenwirken der Kulturen deutlich machen.

Frank Jablonski begrüßt dies. Er sieht in der musikalischen Vielfalt viele Förderansätze. Eine eigene Begriffsbildung erscheint ihm dafür nicht notwendig. Er sieht zum Beispiel im Jazz eine künstlerische Plattform, die Beschäftigung mit allen Musikkulturen ermögliche, ohne auf Niveau zu verzichten. Doch alle diese Musikformen könnten auch unter dem Label Globale Musik stattfinden. Die Labelbegriffe seien für die Musikfans von heute nicht mehr wichtig. Rose Campion schwärmt von dieser Vielfalt in Köln. Sie kam 2017 als Stipendiatin nach Köln und war vom Musikleben beeindruckt. Sie hat Wirkungsweisen erforscht und u.a. die Vielfalt in Musikprojekten mit Geflüchteten im Auftrag des Landesmusikrats NRW evaluiert. Kaum irgendwo sonst seien so viele Stile zuhause. Doch es gebe Ressourcenprobleme, mehr strukturelle Förderung sei nötig.

Musik und Tanz bilden den Raum, in dem wir keine Hautfarben sehen, meinen Kane und Lahoud. Die Musik gewähre so einen Blick in die Zukunft, in der Hautfarben vielleicht keine Rolle mehr spielen. Das aktive musikalische Aufführen von Vielfalt kann dabei die Kritik einer Kulturellen Aneignung auf sich ziehen, meint Rose Campion. Der Vorwurf droht zuweilen interkulturelle musikalische Arbeit zu lähmen. Hier müsse man sich die Arbeit kritisch ansehen und Grenzen ziehen.

Wann ist der Vorwurf der kulturellen Aneignung gerechtfertigt? Der Vorwuf ist gerechtfertigt, wenn Machtungleichheit zwischen den Kulturen besteht, der Musizierende Gewinn an Aufmerksamkeit oder Geld durch das Einbeziehen einer anderen Kulturform erzielt, und er nicht die Funktion eines Advokats für die Kultur und die Menschen, die die Kultur bewahren, ausübt. 

Wie kommen wir nun in die Zukunft, in der wir keine Hautfarben mehr sehen, fragt Lale Akgün Frank Jablonski. Diversität ist eine Querschnittsaufgabe, die sich die Landespolitik in NRW gesetzt hat, so Jablonski. Grünen und CDU haben sich zusammengesetzt und ein Vorgehen verabredet. So bräuchten Förderstrukturen ein Mentoring in den fördernden Institutionen. Ausbildungsstrukturen müssten kritisch betrachtet werden. Man müsse dabei sehen, dass die Arbeitsbedingungen in den Kulturszenen sehr heterogen seien. Manche dürften auch nicht gesellschaftspolitisch überfordert werden, weil sie auf finanziell dürrem Boden stehen. Eine soziale Absicherung stehe da erst einmal im Vordergrund. Es sei kulturpolitisch ein weiter Weg.

rvz

Fotos: Cheikh Djibril Kane, Rabih Lahoud, Lale Akgün, Rose Campion und Frank Jablonski am 6. September 2023 in der Lutherkirche Köln; Das Duo Tarantatá - die Tänzerin Elena Martino und der Akkordeonist Coco Kausch; Fotos: LMR NRW.