Hoch oben im Gebäude S am Campus Grifflenberg, dem Hauptcampus der Bergischen Universität Wuppertal in Elberfeld, traf sich am 29. April eine Runde von Fachleuten aus Universitäten, Musikhochschulen, Musikschulen und Verwaltung (aus dem Schul- und aus dem Kulturministerium), um der Frage nachzugehen, warum es so wenige Bewerberinnen und Bewerber für das Lehramtsstudium Musik gibt – insbesondere für das Lehramt an Grundschulen und in der Sekundarstufe I.
Handelt es sich um eine bedrohte Art? Musik gilt als Mangelfach und die Universitäten und Hochschulen haben die Möglichkeit, dies bei der Vergabe von Studienplätzen zu berücksichtigen: Beim Numerus clausus können sich die Studienbewerberinnen und -bewerber durch die sogenannte „Bonierung“ um bis zu 1,0 im Notendurchschnitt verbessern; allerdings wird diese Möglichkeit noch nicht überall umgesetzt. Schreckt die Eignungsprüfung ab („Mythos Aufnahmeprüfung“)? Ist das Image von Musikunterricht an Schulen zu „unsexy“? Welche Rolle spielen dabei die unterschiedlichen Verdienstmöglichkeiten? Signalisiert die Aussicht auf Verbeamtung eine zu starke Einschränkung der eigenen Entwicklungsmöglichkeit? Oder fehlt vielleicht nur Information an geeigneter Stelle, an Schulen, Musikschulen, bei der Arbeitsagentur? Immerhin ist ein Lehramtsstudium im Fach Musik praktisch eine Jobgarantie!
Unter dem Geschrei der Turmfalken draußen (keine bedrohte Art) wurden aus der Runde Meinungen eingeholt und gefragt, welche Maßnahmen es schon gibt, um die Auslastung der Studiengänge zu verbessern und welche man treffen könnte. Gibt es Stellschrauben, an denen man drehen könnte?
Am liebsten ans Gymnasium
Ja, es stimmt, diejenigen, die vom Instrumentalspiel und von den Musikschulen kommen, streben im Lehramt eher an die Gymnasien und Gesamtschulen (Sekundarstufe II). Die wenigen, die sich für das Lehramt an Haupt-, Real-, Sekundarschulen und Gesamtschulen (Sekundarstufe I) interessieren, haben ihr Abitur eher auf dem 2. Bildungsweg gemacht. Die Schülerinnen und Schüler der Musikschulen und der Privatmusiklehrer kommen immer noch zum großen Teil aus einer bildungsbürgerlichen Schicht, die ihre Kinder lieber in einem Medizin-, Jura- oder BWL-Studium sieht. Und die Musikschulen, die eine „Studienvorbereitende Ausbildung“ (SVA) anbieten, sehen sich mit den Lehramtsstudiengängen in Konkurrenz um guten Nachwuchs – denn auch bei den Musikschulen wird der Musiklehrernachwuchs langsam knapp, und im Unterschied zu den Lehramtsstudiengängen stehen am Ende nicht selten prekäre Verhältnisse mit Honorarverträgen.
Die Ansprache sollte, um geeignete Lehrkräfte für die Grundschule und die Sekundarstufe I zu finden, aber nicht nur über die Musikschulen laufen, sondern auch in das popularmusikalische Feld gehen, an Bands und Ensembles, die nicht im traditionellen hochkulturellen Bereich unterwegs sind. Es gibt auch kaum Bewerberinnen und Bewerber aus den Einwandererkulturen für ein Schulmusikstudium. In der Runde hinterfragt wurde zudem, ob die Möglichkeiten des Seiteneinstiegs ins Lehramt reichen.
„Mythos Aufnahmeprüfung“, Image und Senkung von Hürden
An der Universität zu Köln gibt es die Möglichkeit, „Ästhetische Erziehung“ (Bewegung – Kunst – Musik) für das Lehramt an Grundschulen zu studieren, eine Eignungsprüfung gibt es nicht. Von den 2000 Bewerbungen im Jahr haben 1/3 den Schwerpunkt Musik – immer noch eine Zahl, von der die anderen Ausbildungsstätten nur träumen können. Die Breite der Ausbildung geht zulasten der Tiefe und vermittelt nur wenig Qualifikation für Ensembleleitung und schulpraktisches Klavierspiel. 100 Leute pro Semester können aufgenommen werden. Was ist mit dem Rest? Warum bewerben sich die anderen, die den Schwerpunkt Musik wählen möchten, nicht für ein Schulmusikstudium?
Wie in anderen Fächern auch gibt es gute und schlechte Musiklehrer. Stimmt der Eindruck, dass Musikvermittler (auch „Musikvermittlung“ kann mittlerweile studiert werden und es gibt hohe Bewerberzahlen) die Stimmung im Musikunterricht erst einmal heben müssen? Lässt sich durch eine Marketing-Kampagne dieses negative Image verbessern und die Lücke zwischen Gerne-Musik-Machen und der Vorstellung, Musik an der Schule zu unterrichten, verkleinern? Ohne eine Sonderfinanzierung wäre eine professionelle Kampagne, die sich an die Breite der Schülerinnen und Schüler richtet, alelrdings nicht denkbar.
Oder wäre es hilfreich, wenn bei Aufnahme des Studiums im ersten Jahr noch kein 2. Fach gewählt werden müsste? Wie in Hannover, wo in einem vorgeschalteten Studienjahr der Schwerpunkt auf der eigenen Musikpraxis liegt? Vielleicht könnte auch, wenn dies rechtlich möglich wäre, eine nachgelagerte Eignungsprüfung in der Studieneingangsphase Ängste abbauen.
Verzahnung von Schule und Musikschule und die Frage der Besoldung
Ein fruchtbares Feld könnte in Zukunft die engere Verzahnung und Kooperation von Schule und Musikschule sein und das Modellprojekt des Landesverbands der Musikschulen „EMSA – Eine (Musik)Schule für alle“ zeigt vielversprechende Ansätze auf. Dem entgegen steht aber die Frage der unterschiedlichen Besoldung – der Lehrämter an den unterschiedlichen Schulformen auf der einen und der weit darunterliegenden Eingruppierung von Musikschullehrern auf der anderen Seite. Dabei klaffen Verdienstmöglichkeiten und Absicherung der Lehrkräfte mit Festanstellung an den öffentlichen Musikschulen und der nur als Honorarkräfte beschäftigten Musikpädagoginnen und -pädagogen noch einmal weit auseinander. Diese Unterschiede stellen große Hürden dar, wenn man ein Berufsbild aus kombinierten Tätigkeitsfeldern entwirft. Dabei entspräche ein solches Patchwork-Arbeitsfeld dem Selbstverständnis der heute Studierenden mehr als eine Verbeamtung auf Lebenszeit.
Informationen und Angebote des Landes
Die Ministeriumsvertreter wiesen darauf hin, welche Informationsmöglichkeiten zu den Lehramtsstudiengängen bereits existieren und wo man noch gezielt Informationen zum Studium des Mangelfachs Musik andocken könnte. So gibt es das – in Notfällen wie bei Sturmwarnungen gebrauchte – Instrument der Schulmails an alle Schulleitungen und die Möglichkeit, vor Ort in die Schulen hereinzugehen, um über Berufsfelder zu informieren, wie dies die Handwerkskammer und die Bundeswehr (letztere allerdings nicht unumstritten) bereits mache. Als allgemeine Informationsseiten wurden genannt: www.lehrer-werden.nrw und die Website des Landesprüfungsamts für Lehrämter an Schulen (http://www.lpa1.nrw.de). Vielleicht ließe sich das Thema Lehramt Musik auch in die laufende Lehrerwerbekampagne einbinden?
Informieren können sich Schülerinnen und Schüler beim jährlichen "Infotag Musikstudium" der Landesmusikakademie NRW. Der nächste Infotag findet am 9. November an der Kölner Hochschule für Musik und Tanz statt (Einführender Vortrag von Ortwin Nimczik beim Info-Tag 2018 bei YouTube abrufbar unter https://www.youtube.com/watch?v=Me02BfjBpMo).
Kein Mittel, um mehr Lehrer zu bekommen, aber Lehrer besser zu qualifizieren, sind die Zertifikatslehrgänge der Bezirksregierungen für beamtete Lehrer. Bis 2013 führte die Landesmusikakademie Lehrgänge für das Fach Musik im Münster und Gütersloh durch; nun läuft die Weiterbildung intern über die Mentorenfortbildung. Die Akademie bekommt gleichwohl immer noch Anfragen von interessierten Grundschullehrerinnen; ein Bedarf wäre also da. Angeregt wird des Weiteren auch ein Zertifikatslehrgang Musik für migrantische Lehrkräfte.
Agenda für die weitere Arbeit
Die zum Round Table einladende Landesfachgruppe Musikpädagogik will zunächst eine Zusammenstellung der Studienmöglichkeiten an den zehn Hochschulstandorten in NRW vorlegen – gut wäre es, dies mit einer Darstellung der Eignungsprüfungen zu verbinden, die an den Standorten unterschiedlich sind. Eine solche Übersicht – im Netz und als gedruckter Flyer – könnte über die verschiedenen Kanäle der Verbände, der Musikschulen und Ministerien kommuniziert werden.
Des Weiteren soll es eine Einladung von Musikschulseite an die Hochschulvertreter zum Austausch über das Thema der Studienvorbereitenden Ausbildung (SVA) geben.
Insgesamt leitete die Landesfachgruppe aus der Diskussion des Round Table folgende Arbeitsaufträge ab:
1. Bereitstellung von (attraktiv aufbereiteten) Informationen
2. Veränderungen bei den Zugangsbeschränkungen (N.C. [universitätsintern], Eignungsprüfungen [Landesfachgruppe])
3. (Weiter-) Qualifizierung von Fachunterrichtenden
4. Kooperation mit Musikschulen, insbesondere den SVA-Abteilungen
5. Besoldung (besonders Grundschule und HRGe)
Die meisten der angesprochenen Probleme sind unter den Fachleuten schon länger bekannt. Umso notwendiger ist es, gemeinsam Strategien zu entwickeln und sich dabei nicht vorrangig an den eigenen berufsständischen Interessen zu orientieren. Auch der Umstand, dass sowohl der Schulministerin als auch der Kultur- und Wissenschaftsministerin die Stärkung der musikalischen Bildung am Herzen liegt, sollte das Pläneschmieden beflügeln. Gerade sieht es nicht so aus, als ob die Universitäten ihre teuren (Einzelunterricht!) Lehramtsstudiengänge Musik auf die rote (Streich)Liste setzen könnten. Die Gespräche werden fortgesetzt.
(Heike Stumpf)
Teilnehmer/innen am Round Table
Für die Landesfachgruppe: Thomas Erlach (Sprecher), Thomas Krettenauer (stv. Sprecher), Helmke Jan Keden, Ulrike Kranefeld, Miriam Meisterernst, Adrian Niegot, Christine Stöger
Für den Bundesverband Musikunterricht: Walter Lindenbaum, Annette Ziegenmeyer
Für den Landesverband der Musikschulen: Holger Müller, Ruddi Sodemann
Für den Landesmusikrat: Reinhard Knoll, Heike Stumpf
Für die Landesjugendensembles: Agnes Rottland
Für die Landesmusikakademie: Antje Valentin
Für das Ministerium für Schule: Johannes Geldmacher
Für das Ministerium für Kultur und Wissenschaft: Brunhilde Fehrmann
Die Moderation übernahmen aus den Reihen der Landesfachgruppe Musikpädagogik: Thomas Busch, Johannes Voit und Georg Harbig, die diesen Round Table maßgeblich angeregt haben.