Das Netzwerk „Musik im Kita-Alltag NRW“ füllt sich mehr und mehr mit Leben. Diesen Eindruck vermittelte die Netzwerk-Tagung am 16. November im LWL-Landeshaus in Münster. Vertreterinnen und Vertreter aus Verwaltung und Politik, Kita-Leitungen, Fachberater, Vertreter von Trägern, Lehrkräfte aus der Elementarpädagogik sowie Erzieherinnen und Erzieher waren eingeladen und berichteten aus der gelebten Praxis. Die Frage war auch, wie es weitergehen kann, wenn Ende nächsten Jahres die dreijährige Projektförderung der beteiligten Stiftungen und der Sparkassenverbände ausläuft. Der beschrittene Weg, über Fortbildung von Erzieherinnen – und natürlich Erziehern, wenn es sie gibt – sowie die individuelle Begleitung von Kitas mehr Musik in den Kita-Alltag einziehen zu lassen, scheint ein guter zu sein. Darauf, dass die Erzieherinnen und Erzieher in ihrer Ausbildung an den Fachschulen für Sozialpädagogik genügend Rüstzeug für einen musikalischen Kita-Alltag erhalten, will jedenfalls keiner warten.
So finden sich unter dem Dach des Netzwerks zum einen die bereits seit längerem bestehenden Initiativen wie die des Landesverbands der Musikschulen (Kita und Musikschule), der Bertelsmann-Stiftung (Mika – Musik im Kita-Alltag) oder des Chorverbands (Toni singt), zum anderen die durch die Projektmittel finanzierten und durch die Landesmusikakademie NRW ins Leben gerufenen Maßnahmen: Fachtage, Tageskurse, gezielte Begleitung von „Kitas im musikalischen Aufbau“. Projektmanagerin Vera Hotten präsentierte eine beeindruckende Bilanz der letzten beiden Jahre und am Ende der Veranstaltung konnten Annette Fortmann vom Sparkassenverbsande Westfalen-Lippe und Ute Welscher von der Bertelsmann-Stiftung bereits die ersten Zertifikate verleihen. Andererseits darf man nicht vergessen, dass es in NRW um die Kinder in ca. 10.000 Einrichtungen geht und sich präsentierte Zahlen davor immer wie der Tropfen auf dem heißen Stein ausnehmen.
Nach der Begrüßung durch die Fachberaterin Kindertagesbetreuung des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe Kathrin Büttner und Reinhard Knoll, Präsident des Landesmusikrats NRW, sprach Johannes Voit – ehemals Musikvermittler an der Kölner Philharmonie, jetzt Professor für Musikpädagogik an der Universität Bielefeld – zum Thema „Von der Kita ins Konzerthaus. Partizipative Musikprojekte als Chance für ästhetische Erfahrung“.
Er legte in seinem Eröffnungsvortrag dar, wie die „Offenohrigkeit“ mit zunehmendem Alter abnimmt; mit zehn Jahren seien bereits Präferenzen ausgebildet. Hören im Sinne von Zuhören bedürfe eines ästhetischen Vorrats von Mustern. Musikhören sei ein besonderer Fall sinnlicher Wahrnehmung: Ich höre, um des Hörens willen und nicht um Alltagssituationen zu erkennen. Die Offenohrigkeit von Kindern sollte man stärker nutzen. Die Konzertvermittler an den Konzerthäusern bekämen viele Anfragen von Schulen, aber nur wenige von Kitas. Die Konzerte für die Kleinsten fänden nicht unbedingt im großen Konzertsaal statt, denn eine Voraussetzung sei, dass die Kinder auch etwas sehen können müssen. Die Rahmenbedingungen werden weiter angepasst: Zum Sitzen werden Matten ausgelegt, es gibt einen Wickeltisch und die Eintrittspreise sind moderat. Mit partizipativen Ansätzen habe er gute Erfahrungen gemacht, so mit „Plingpolyplu Fantastiko“, einem interaktiven Konzertprojekt der Kölner Philharmonie mit explorativer Grundhaltung. Die Junge Oper Hannover („Und wie klingst du?“) entwickle ihre Konzepte sogar zusammen mit den Kindern. Er ermutigte Kindertagesstätten ausdrücklich, Angebote der Konzertvermittlung zu nutzen.
Stefan Wolf schickte die Tagungsteilnehmer anschließend in die Zukunftswerkstatt – mit einem Raketenbauprogramm zur besseren Visualisierung. Die kleinen Entwicklergruppen waren gefordert, ihre „Visionen“ (Raketenziel) zu formulieren und Strategien zu entwickeln, die dorthin führen.
Nach der Mittagspause traf dann verkehrsbedingt verspätet Staatssekretär Andreas Bothe aus dem Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration NRW zum Podiumsgespräch mit Nina-Sophie Siekmann (Dozentin MIKA), Lotta Donner (Musikschule der Stadt Hilden) und Katharina Niebel (Städtische Kindertageseinrichtung Itterpänz, Hilden) sowie Susanne Bäcker (Kindergarten zur Wasserburg, Fröndenberg) ein. Antje Valentin, Direktorin der Landesmusikakademie und kenntnisreiche Tagesmoderatorin, hakte an neuralgischen Punkten nach. Wie er es sehe, wenn Partner von außen in die Kita kämen, um Musik hineinzubringen? Ob er am Kabinettstisch nicht mit Schulministerin Gebauer über die Ausbildung von Erzieherinnen sprechen könne, im Berufskolleg passiere musikalisch sehr wenig. Und ob Musik in der Kita nicht anders zu bewerten sei als Digitalisierung? Der Staatssekretär hatte zuvor von der Profilbildung von Kitas gesprochen und davon, dass die Kitas heute mit vielen Themenbereichen konfrontiert seien, die Berücksichtigung finden wollten.
Lotta Donner schilderte, wie angenehm es sei, nicht alleine, sondern zusammen mit den Erzieherinnen in der Kita musikalisch zu agieren. Wenn sie einmal in der Woche in die Kita komme, könne sie nicht jedes Kind sehen wie die Erzieherinnen dies könnten. Katharina Niebel gab Beispiele, wie hilfreich andererseits für Erzieherinnen musikalische Rituale, Lieder und Rhythmen für den Alltag seien. Wenn man wisse, wie, falle es nicht schwer, eine Gruppe ruhig zu bekommen.
Susanne Bäcker plädierte dafür, dass Kitas multiprofessionelle Teams mit Elementaren Musikpädagogen beschäftigen können sollten. Aus dem Plenum kann die Forderung, die Ausbildung der Musiklehrer für Erzieherinnen zu reformieren. Erzieherinnen müssten in der Ausbildung auf die Arbeit mit Kindern vorbereitet werden, wie dies Elementare Musikpädagogen als Lehrer könnten. Die Vertreterin des Landesverbands der Musikschulen konterte, dass sie ihre Elementaren Musikpädagogen aber nicht hergeben würden. Tatsächlich gebe es zu wenige Elementare Musikpädagogen und EMP-Studierende, Grund dafür sei auch fehlender Musikunterricht an den allgemeinbildenden Schulen.
Staatssekretär Bothe gab zu, selbst „Opfer schwarzer Pädagogik“ geworden zu sein, beim Vorsingen für den Bielefelder Kinderchor habe man ihn aussortiert. Familienbedingt sei aber die Liebe zu Theater und Oper geblieben. Er könne sich vorstellen, bei der Novellierung des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) den Bereich der musikalischen Bildung stärker zu berücksichtigen, z.B. durch Freistellung, durch Fort- und Weiterbildung. Die Impulse kämen nicht zu spät. Valentin erinnerte daran, dass ja auch im Koalitionsvertrag auf die Bedeutung von Singen und Musizieren mit Kindern Bezug genommen werde.
Nach der Kaffeepause rückte dann – wie bereits bei der Kölner Tagung im Vorjahr beim Landschaftsverband Rheinland – das Thema Partizipation in den Mittelpunkt. Christian Peitz (Fachberatung Kindertages-betreuung, LWL) erläuterte den Ursprung der gesetzlichen Vorgabe zur Partizipation, der im Kinderschutz liege, und forderte Räume, in denen sich Kinder frei von Beschämung probieren können. Regina Tolkmitt (Kita am Pöppenteich, Detmold) schilderte, wie es zum partizipativen Ansatz ihrer Kita kam und wie Partizipation dort gelebt wird. Juliane Gerland, Professorin an der Fachhochschule Bielefeld wollte der Stachel im Fleisch der Partizipation sein und fragte „Partizipation - und woran jetzt genau?“ Nicht alles lasse sich partizipativ regeln, wenn man eine ununterbrochene Musikbiographie gewährleisten wolle. Ausreichenden Experimentierraum könne man zwar gewähren, man müsse aber auch die Anschlussmöglichkeit an musikpädagogische Konzepte von Schule und Musikschule im Auge behalten. Im partizipativen Ansatz sehe sie bei Musik die Gefahr von Beliebigkeit. Kinder wollten gerne etwas können und strengten sich auch gerne an.
Erwarteten nun alle eine Strafpredigt von „Partizipationspapst“ Stefan Wolf, reagierte dieser doch gelassen. Es gehe ihm um einen herrschaftsfreien Diskurs und darum, sich gegenseitig ernst zu nehmen. Wenn Kinder – und sei es im musikalischen Zusammenhang – nur als Dekoration benutzt würden, empfinde er dies als beschämend.
Milena Hiessl von der Singschule Bonn gab der Veranstaltung mit gemeinsamen Gesängen einen roten Faden. Wie schön wäre das, was ein häufig nach Afrika reisender Fortbildner als Vision formulierte: „Könnt ihr singen?“ ist eine unverständliche Frage.
(Heike Stumpf)
Eine Dokumentation der Tagung am 16.11. in Münster wird zurzeit erstellt und ist dann auf der Website des Netzwerks abrufbar:
https://kita-musik-netzwerk.de/
Das Netzwerk Musik im Kita-Alltag NRW wurde vom Landesmusikrat NRW, der Landesmusikakademie NRW, der Bertelsmann Stiftung und der Peter Gläsel Stiftung Ende 2015 ins Leben gerufen mit dem Ziel, Musik in jeder Kita in NRW als Selbstverständlichkeit im Kita-Alltag zu integrieren. Es nimmt seit Beginn 2017 verstärkt durch ein Projektmanagement seine Tätigkeit auf. Förderer des Netzwerks sind die Sparkassen in Nordrhein-Westfalen, die Bertelsmann Stiftung und die Peter Gläsel Stiftung.
Ziel der Netzwerkgründung ist es, die musikalisch Aktiven in Kitas in NRW zu stärken und fortzubilden, Kitas in ihrem Bestreben zu unterstützen, musikalische Aktivitäten in ihren Alltag zu integrieren und sukzessive die Qualität musikalischer Aktivitäten an Kitas auf Grundlage der „Neusser Erklärung“ anzuheben. Dies geschieht durch Angebote zur Vernetzung, Fortbildung und Begleitung von Kita-Fachkräften und Kitas. Weitere Informationen: www.kita-musik-netzwerk.nrw
Die Landesmusikakademie NRW wirkt für ganz Nordrhein-Westfalen als Veranstalterin musikalischer Fort- und Weiterbildungen, als Bildungsstätte und Probenort sowie als Vernetzungspartnerin und Projektträgerin. Sie wird vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft institutionell gefördert und bildet mit Kursen, Lehrgängen, Tagungen, Konzerten und Projekten einen Knotenpunkt musikalischer Arbeit in Nordrhein-Westfalen.
Fotos der Netzwerk-Tagung Musik im Kita-Alltag am 16.11.18 im LWL-Landeshaus in Münster:
Milena Hiessl, Singschule Bonn, animiert zu musikalischen Aktionen;
Teilnehmer des Podiumsgesprächs mit dem Staatssekretär: Lotta Donner, Katharina Niebel, Nina-Sophie Siekmann, Sts Andreas Bothe, AntjeValentin;
Mitglieder der Steuerungsgruppe des Kita-Netzwerks: Annette Fortmann, Dr. Ute Welscher, Sts Andreas Bothe, Antje Valentin, Reinhard Knoll, Vera Hotten, Stefan Wolf, Annegret Schwiening;
Annette Fortmann und Dr. Ute Welscher verleihen die Zertifikate an die "Kitas im musikalischen Aufbau"
Fotos: Landesmusikakademie NRW