Eigentlich gibt es das Vokalzentrum NRW noch gar nicht. Die Umbauarbeiten im Dortmunder Reinoldihaus haben sich verzögert und die offizielle Eröffnung wird nun vermutlich im Januar oder Februar stattfinden. Die Landesmusikakademie NRW hinderte das nicht daran, am 9. Oktober ihre diesjährige Tagung des Netzwerks Kitamusik NRW (bisher: Netzwerk „Musik im Kita-Alltag“) im großen Saal durchführen und damit schon ein wenig den merkantilen Geist grauer Herren aus dem Gebäude zu vertreiben, das lange Zeit der Sitz der Dortmunder Handwerkskammer war; Christoph Studer beförderte dies mit einem eigens für den Tag gemachten kleinen Lied und einem Tanzlied aus Ostafrika (Jambo Bwana) zum Mitsingen und -tanzen. Und wie hervorragend gelegen das Reinoldihaus für kommende Veranstaltungen und Fortbildungen ist – im Zentrum NRWs und in 8 Minuten fußläufig vom Bahnhof zu erreichen –, zeigte die gute Resonanz auf die Einladung zur Tagung.
Stadtdirektor Jörg Stüdemann und Torsten Mosgraber, der Direktor des Musikfestivals Klangvokal, ermunterten in ihrer Begrüßung die über hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die Räumlichkeiten des neuen Vokalzentrums auch für eigene Veranstaltungen zu buchen und auf diese Weise Dortmunds Profil als Stadt der Vokalmusik weiter zu befördern. 2002 wurde dort die Chorakademie am Konzerthaus gegründet, seit 2009 gibt es das Musikfestival Klangvokal und die Geschäftsstelle des Chorverbands NRW befindet sich mittlerweile auch in Dortmund und wird, wenn die Räumlichkeiten endlich fertig sind, in das Vokalzentrum im Reinoldihaus einziehen.
Musik, Sprache und Kommunikation
Im Mittelpunkt der Netzwerktagung standen dieses Mal Impulse zur Verbindung von Musik, Sprache und Kommunikation. Dr. Anja Bossen, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Musikpädagogik und Musikdidaktik der Universität Potsdam, trug vor, welche Merkmale Musik und Sprache miteinander verbinden und wie bei Kindern das sprachliche Bewusstsein durch Musik geschärft werden kann. Musikalische Sprachspiele helfen Sprachrhythmus und Betonungen richtig zu erfassen und zum Beispiel die grammatisch korrekten Endungen zu wählen. Ersatzproben in Liedern dienen dem Aufbau des Wortschatzes. Kinder lieben Wiederholungen und merken gar nicht, dass sie lernen. Bei ihrer Berliner Studie mit Kindern mit Migrationshintergrund (2010) zeigte sich aber auch, dass etwa 10 % der Kinder im Grundschulalter nicht gerne zum Förderunterricht gingen – sie mussten dann auch nicht an der Studie teilnehmen.
Wie schön und für Kinder naheliegend es ist, nicht sprechend, sondern singend zu kommunizieren, demonstrierte Elisa Läubin, Professorin für Elementare Musikpädagogik an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Spontangesänge ab dem 1. Lebensjahr, die im 2. und 3. Lebensjahr dann in Lieder übergehen und später in Form von „Potpurrigesängen“ kultiviert werden (3./4. Lebensjahr). Mit Schuleintritt verliert sich dieses Singen dann. Warum? Weil anderes wichtiger wird? Weil man still sein muss? Auf jeden Fall ist die Kita-Zeit hervorragend dafür geeignet, an das Spiel mit der Singstimme anzuknüpfen. Und es hilft auch, den Kita-Alltag besser zu bewältigen. Wenn die Erzieherin singend einen Aufräum-Auftrag erteilt, klappt das viel besser als die gesprochene Aufforderung. Und oft handelt es sich dabei um Fertigkeiten, die von den pädagogischen Kita-Fachkräften leicht zu erlernen sind.
Das Netzwerk Kitamusik NRW
Eva Biallas, die zusammen mit Christiane Kirchner das Projektmanagement des Netzwerks Kitamusik übernommen hat, stellte das Netzwerk und seine weitere Entwicklung vor. Da gibt es zum einen die Plattform für den Austausch über die verschiedenen Initiativen in NRW, zum anderen bietet das Netzwerk musikpraktisch ausgerichtete Fachtage an, die den Erzieherinnen mehr Sicherheit geben sollen, die eigene Singstimme zu gebrauchen und Musik in den Kita-Alltag einzubinden. Beim „Musikalischen Aufbau“ geht es darum, nicht nur einzelne Erzieherinnen, sondern Kitas insgesamt – die Kita-Leitung, die Fachkräfte und wenn möglich auch die Eltern – auf dem Weg zu mehr Musik zu begleiten.
Antje Valentin, die Direktorin der Landemusikakademie NRW, die als Moderatorin gewohnt souverän durch den Tag führte, interviewte sodann als Akteurinnen des Netzwerks Maren Grimm, die als Studienrätin am Herwig-Blankertz-Berufskolleg in Recklinghausen unterrichtet, und Johanna Koppers, die mit einer Kollegin das in den Fortbildungen Gelernte in das ganze Team der Kath. Kindertageseinrichtung St. Marien in Nottuln weitergetragen und außerdem einen musikalischen Fachtag für die insgesamt 12 Kitas in Nottuln organisiert hat. Von Kindern und Eltern werde diese Initiative zu mehr Musik in der Kita sehr gut angenommen; es seien auch Instrumente wie Trommeln angeschafft worden.
Maren Grimm verwies darauf, dass an den Berufskollegs das Fach Musik quasi nicht mehr unterrichtet wird, weil Musik nur noch einen von zehn Bildungsbereichen in einem Lernfeld darstellt. Die angehenden Erzieherinnen trauten sich nicht, vor anderen zu singen oder musikalisch aktiv zu werden, weil sie diese Erfahrung selbst nicht gemacht hätten. Zum Glück hält ihre Schulleitung Musik für wichtig und hat einen Fachtag des Netzwerks am Berufskolleg unterstützt.
Eva Biallas, die selbst auch als Fortbildnerin für das Netzwerk tätig ist, berichtete, wie fruchtbar der Austausch unter den Dozentinnen und Dozenten ist. Die anderen würden nicht mehr als Konkurrenz empfunden, was angesichts des großen Bedarfs und von 10.000 Kindertageseinrichtungen in NRW auch keinen Sinn mache.
Netzwerk-Partner
Anschließend erläuterte Antje Valentin die Idee, das Netzwerk durch Etablierung von „Partner-Kitas“ (um das militärisch konnotierte Wort „Stützpunkte“ zu vermeiden) regional auf mehrere starke Schultern zu verteilen und weiterzuentwickeln. Die Wahrheit sei, dass die künftige Finanzierung, die bisher mithilfe von Stiftungen und den Sparkassen sowie der institutionellen Förderung des NRW-Kulturministeriums für die Landesmusikakademie und den das Netzwerk mittragenden Landesmusikrat gewährleistet worden sei, noch nicht stehe. Als Partner-Kitas weiter zu wirken haben sich die Kita Arche Noah in Ochtrup und der Evangelische Kindergarten “Friedrich von Bodelschwingh“ in Lüdenscheid bereit erklärt. Ebenso dazu bereit ist Daniela Knichel, Leiterin eines vom Niehler Elternverein in Köln getragenen Kindergartens, die im Gespräch bekannte, dass es ihr ein Anliegen sei, die Begeisterung über den „Musikalischen Aufbau“ in andere Kitas weiterzutragen. Andere Kitas wünschten sich auch, eine solche Fortbildung zu bekommen.
Nach der Mittagspause stellten die im Netzwerk organisierten Akteure ihre Initiativen und Programme vor: Eva Dämmer das Projekt „Kita und Musikschule“ des Landesverbands der Musikschulen, Anke von Hollen das Projekt „MIKA“ der Bertelsmann Stiftung, Julia Husmann und Carsten Jaehner das Projekt „Toni singt“ des Chorverbands NRW und Tuba Tunçak die „Mobile Musikwerkstatt“, die auf eine Idee von Peter Ausländer zurückgeht und nun ein Teil des MIKA-Projekts ist. Burkhard Leich informierte über das noch recht neue Musik- mit Religionspädagogik verbindende Projekt der 2015 gegründeten Evangelischen Pop-Akademie Herford und des Evangelischen Kirchenkreises Herford, durch das 50 Einrichtungen in Herford und 70 in Dortmund erreicht würden.
Im abschließenden Podiumsgespräch stellte Natalie Kronast noch das – 2020 allerdings auslaufende – Programm "Kunst und Spiele" der Robert Bosch Stiftung vor. Dabei geht es darum, schon die Kleinsten mit Kultureinrichtungen vertraut zu machen. Auf die Frage Antje Valentins, welche Kitas einmal ein Konzerthaus oder ein Museum besucht hätten, gab es erstaunlich viele Handzeichen im Publikum.
Stefan Wolf, der Geschäftsführer der Peter Gläsel Stiftung berichtete über sein partizipatives Modell für eine Kindertagesstätte und eine Grundschule in Detmold. Dabei sei Partizipation „nicht harmlos“, denn die Kinder würden zur Selbstbestimmung erzogen und gestalteten ihren kompletten Alltag mit. Lehrer, die durch das Kinder-Casting fielen, hätten keine Chance auf Anstellung. Er appellierte zum Schluss an die „unglaubliche Kraft von Partizipation und kultureller Bildung“. Unternehmen wollten kreative Mitarbeiter, in den weiterführenden Schulen sei Kreativität aber nicht gefragt. Der Zusammenhang von Bewegung, Sprache und Musik werde auch in 30 Jahren noch bestehen. Er plädierte daher für die Investition in die Langfristigkeit von Bildung.
Über das Netzwerk
Das Netzwerk Musik im Kita-Alltag NRW (jetzt: Netzwerk Kitamusik NRW) wurde vom Landesmusikrat NRW, der Landesmusikakademie NRW, der Bertelsmann Stiftung und der Peter Gläsel Stiftung Ende 2015 ins Leben gerufen mit dem Ziel, Musik in jeder Kita in NRW als Selbstverständlichkeit im Kita-Alltag zu integrieren und sukzessive die Qualität musikalischer Aktivitäten in Kitas auf Grundlage der „Neusser Erklärung“ anzuheben. Seit Januar 2017 ist das Netzwerk mit verschiedenen Angeboten für pädagogische Fachkräfte und Kitas (Vernetzung, Fortbildung, Beratung und Begleitung) aktiv.
Förderer des Netzwerks sind die Sparkassen in Nordrhein-Westfalen, die Bertelsmann Stiftung und die Peter Gläsel Stiftung.
(Heike Stumpf)
Weitere Informationen über das Netzwerk:
https://kita-musik-netzwerk.de/startseite/
Foto 1: Dr. Anja Bossen, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Musikpädagogik und Musikdidaktik der Universität Potsdam, erläuterte in ihrem Impulsreferat am 9.10.2019 im im Dortmunder Reinoldihaus die Verbindung von Musik, Sprache und Kommunikation. Foto: Sandra Spitzner
Foto 2 (v.l.n.r.): Abschließendes Podiumsgespräch der Ntzwerktagung Kitamusik am 9.10.2019 in Dortmund mit Elisa Läubin, Dr. Anja Bossen, Antje Valentin, Natalie Kronast, Brigitte Dohm (Kita Niehler Elternverein Köln), Stefan Wolf. Foto: René Müller