Neun Vereine und Gesellschaften für Neue Musik treffen sich regelmäßig im Landesmusikrat NRW, sie luden nun zu einer Tagung ein, in der sie die Geschichte ihres Wirkens im Kontext der regionalen Entwicklungen reflektierten. So trugen am 15. Juni neun Referenten in der Alten Feuerwache Köln ein facettenreiches Bild zusammen.
Rainer Nonnenmann skizzierte das Geflecht der Initiativen zur Neuen Musik in Köln, das zwar nicht mehr jene öffentliche Aufmerksamkeit genießt, die der Avantgarde in den 1960er und 1970er Jahren zuteil wurde, das dafür aber größer und vielfältiger denn je ist. Hans Walter Staudte zeigte, wie Improvisierte Musik und komponierte Neue Musik in der Gesellschaft für zeitgenössische Musik Aachen ihr Forum finden, wobei in den Phasen der Vereinsgeschichte zuweilen mehr das eine, zuweilen mehr das andere Genre das Geschehen bestimmte.
Erik Jansons Ausführungen zur Entstehung des Vereins "musik21" in Düsseldorf konnte man deutlich entnehmen, wieviel schwerer es eine Initiative hat, die ausschließlich von stets neu einzuwerbenden Projektzuschüssen lebt. Jörg-Peter Mittmann zeigte, wie die Region Ostwestfalen-Lippe aus ihrer Lage abseits der Großstädte gerade in Bezug auf Experimentierfreude das Beste machen konnte.
Gordon Kampe eröffnete in seinem Referat "Neue Klänge im Ruhrgebiet" den Blick auf die Szene an der Ruhr, die in den 1990er Jahren sogar ein Weltmusikfest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik ausrichtete und heute ein Zentrum vor allem in der Folkwang Universität der Künste hat. Sarkastisch würdigte er den Elan der Akteure, Neue Musik an "ungewöhnlichen Orten" des Alltags zu Gehör zu bringen: Eigentlich seien diese Orte nicht originell, unwöhnlich für Neue Musik seien doch eher Konzertsäle und Kammermusikforen, welche Kampe sich für die Aufführungen seiner eigenen Werke wünscht. Auch hielt er ein Plädoyer für Qualität in Vermittlungsprojekten und für den Freiraum des Künstlers, auch ohne Vermittlung für die Kunst selbst zu arbeiten.
Ruth Forsbach schilderte die Entwicklung des Festivals "Bergische Biennale für Neue Musik" im Bergischen Land, das die ungewöhnlichen Orte zur Normalität erklärte und die Räume der Region nutzt, um den Festivalinhalten Authentizität zu geben. Erhard Hirt analysierte die Entwicklung der Projekte in der Gesellschaft für Neue Musik Münster, die mehr von Interpreten als von Komponisten bestimmt ist. Edith Murasov und Willem Schulz zeigten auf, wie sich die Bielefelder Szene der "Cooperativa Neue Musik" rings um die Festivalreihe "diagonale" erstreckt. Johannes Marks reflektierte die Jugendvermittlungsarbeit des Orchesters "Sinfonia" in Dortmund und stellte fest, dass Kinder ernstgenommen werden wollen und einer Verkindlichung von Neuer Musik misstrauisch gegenüberstehen.
Arnold Jacobshagen, Vorsitzender der mitveranstaltenden Arbeitsgemeinschaft für rheinische Musikgeschichte, hatte die Tagung eröffnet, Robert von Zahn führte seitens des Landesmusikrats in das Thema ein und moderierte die ersten beiden Drittel der Tagung. Rainer Nonnemann leitete die Diskussionen des letzten Drittels. Zum Fazit zählte, dass ein wirkliches Leben von Neuer Musik nicht unbedingt einer Metropole bedarf, wenngleich die Strahlkraft einer solchen zweifellos Vorteile bietet.
Die Tagung fand ihren musikpraktischen Gegenpart in der 7-Städte-Konzerttour "Stationen", deren Kölner Gastspiel im Konzertsaal der Alten Feuerwache stattfand. Das Konzert war zugleich Teil des Neue-Musik-Festivals der Kölner Gesellschaft für Neue Musik. Die Festivalwirkung wird nicht zuletzt dafür gesorgt haben, dass der Saal ausverkauft war. Das Ensemble Hörsinn spielte Auftragswerke des Landesmusikrats von Johannes Marks (Dortmund), Christina C. Messner (Köln), Erik Janson (Düsseldorf), Willem Schulz (Bielefeld) und Gordon Kampe (Essen). Die fünf Werke ergänzten sich so stimmig, dass man versucht war, an eine übergreifende Dramaturgie zu glauben.
So wirkten die Rahmenwerke des Programms wie Kopf-und Schlusssatz eines geschlossenen Werks: Zu Beginn die feurige und komplex rhythmische "Klangszene II" von Johannes Marks, am Ende das klangfarbenprächtige Finale "Butter und Fische" von Gordon Kampe, der das Durchwechseln von Stimmungen souverän beherrscht. Dazwischen acht lyrische Momentaufnahmen "Idyllen" von Christina Messmer, die unvermittelt aufeinanderfolgen, jeweils durch ein Klicken eingeleitet; dann fein verwobene Klangstrukturen des "Secret of the nymphs - mobility" von Erik Janson, der die Koordinationsfähigkeit der Musiker herausfordert, und das musiktheatralisch geprägte "Haus für Tuba" von Willem Schulz aus Bielefeld: Von diesem Haus sieht man nur eine Tür, hört aber Flure, Räume und nach und nach die ganze Architektur.
Die geschlossene Wirkung des Programms mag auch an den stimmigen Interpretationen von Pavel Tseliapniou (Flöte), Vanessa Hövelmann (Klarinette), Norbert Fabritius (Trompete), Jan Termath (Tuba), Gereon Voß (Schlagwerk) und Deborah Rawlings (Klavier) gelegen haben. Jan Termath moderierte das Konzert und führte in die Werke ein.
Die letzte Chance, das Programm zu hören, bietet das Konzert in Düsseldorf am 23. Juni, 18.00 Uhr, in der Tonhalle (Hentrich Saal), Ehrenhof 1, 40479 Düsseldorf.
Die Veranstaltung des Landesmusikrats NRW, der Kölner Gesellschaft für Neue Musik, des Vereins für Neue Musik Dortmund, der Cooperativa Neue Musik Bielefeld, der Gesellschaft für zeitgenössische Musik Aachen, der Gesellschaft für Neue Musik Münster, der Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstförderer, der Gesellschaft für Neue Musik Ruhr und von musik21 e.V. Düsseldorf wurde gefördert durch das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW, die einzelnen Konzerte zum vom Kulturamt Bielefeld, den Kulturbetrieben Aachen, dem Kulturamt der Stadt Münster, dem Kulturamt der Stadt Köln, dem Kulturbüro der Stadt Essen, dem Kulturamt Landeshauptstadt Düsseldorf und der Tonhalle Düsseldorf.
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Das Ensemble Hörsinn spielt Christina Messner in der Alten Feuerwache Kölns, 15. Juni 2012. Vortrag Gordon Kampes im Projektraum der Alten Feuerwache. Fotos: LMR NRW.