Die aktuelle Verkettung von Corona-, Rohstoff- und Energiekrise bedroht das Musikleben in seiner Existenz. Mehr als andere Bereiche war das Musikleben von den Lockdowns der Corona-Zeit bedroht und hat sich von den Auswirkungen dieser Zeit noch längst nicht erholt. Wie in der Corona-Pandemie – mit der schnellen Entwicklung von wirksamen Hygiene- und Einlasskonzepten, angepassten Konzertformaten und anderen Maßnahmen – ist auch jetzt die Bereitschaft im Musikleben wie in anderen Bereichen des Kulturlebens groß, durch Energieeinsparungen ihren Beitrag zu leisten zur Bewältigung der Energiekrise. Leitfäden und Handreichungen hierzu finden sich zum Beispiel auf den Seiten des Deutschen Kulturrates. Doch bedarf es darüber hinaus passgenauer Unterstützungen aus öffentlicher Hand, um die Ausdünnung der Spielpläne bis hin zu bundesweiten Schließungen von Spielorten zu verhindern und damit verbunden das Wegbrechen von Verdienstmöglichkeiten insbesondere auch von freischaffenden Kreativen im dritten Winter in Folge.
Der Deutsche Musikrat begrüßt ausdrücklich die im Rahmen des Wirtschaftsstabilisierungsfonds für Kultureinrichtungen in Aussicht gestellten eine Milliarde Euro für gezielte Hilfen in der Energiekrise. Damit dieser „Kulturfonds Energie“ zum Erhalt der Vielfalt des Kulturlebens beitragen kann, das nicht nur ein bedeutender Arbeitgeber, sondern in dieser schwierigen Zeit für die Gesellschaft mehr denn je auch ein emotionaler Anker ist, gilt es bei der nun anstehenden Ausgestaltung des Fonds die folgenden Kriterien zu berücksichtigen:
· Expertise der Musikverbände bei der Ausgestaltung der Hilfen einbeziehen: Um möglichst effiziente Hilfen für alle betroffenen Bereiche des Musiklebens zu gewährleisten, müssen bei der Erarbeitung der Antragskriterien für den Fonds die Stellungnahmen und Erläuterungen der Branchenverbände berücksichtigt werden. Ein Austausch zwischen den Verbänden und den für die Ausgestaltung des Fonds Verantwortlichen, etwa unter Leitung des Deutschen Kulturrates, wäre wünschenswert.
· Kreis der Antragsberechtigten ausweiten: Der Schutzschirm durch den Fonds muss auch für freie und privat getragene Kulturorte sowie für Kirchen gelten. Freie Kulturorte sind als Arbeitgeber für freischaffende Musiker*innen essenziell, ebenso wie Kirchen, die zusätzlich zu ihrer Funktion als Orte der Glaubensausübung wichtige Veranstaltungsorte für die Musikszene sind. In Kirchen besteht zudem bei Auskühlen der Kirchenräume eine große Gefahr für die Orgeln, z.B. durch Schimmelbildung im Spielwerk. Eine langfristige kostenintensive Instandsetzung von Instrumenten, Gebäuden und Einrichtung wäre die Folge.
· Hilfen schnell und unbürokratisch gewähren: Die gestiegenen Preise sind schon jetzt deutlich spürbar und stellen die Kulturinstitutionen derzeit und in den kommenden Monaten vor Probleme. Finanzielle Hilfen müssen daher schnell und unbürokratisch beantragt und ausgezahlt werden können. Die Antragstellung für Januar 2023, rückwirkend zu Oktober 2022, muss gewährt sein. Wie bei den Corona-Hilfen sollte die genaue Prüfung der Anträge nachgelagert erfolgen.
· Belastbare Bezugsgrößen für die Antragstellung: Bei der Berechnung der jeweiligen Hilfen müssen als Vergleichswert die entsprechenden Energiekosten in Zeiten des Normalbetriebes als Grundlage herangezogen werden, das betrifft in den meisten Bereichen die Zeit vor Corona. Auf keinen Fall sollten Lockdown-Monate als Vergleichsbasis dienen.
· Mittelfristige Folgebetroffenheit in der Ausgestaltung des Fonds mit einbeziehen: Einige Bereiche wie die Veranstaltungsbranche stehen am Schluss komplexer Verwertungsketten, Kostensteigerungen werden bis zu ihnen weitergereicht und laufen hier gesammelt zusammen. Bisher haben diese Bereiche nur Erhöhungsankündigungen erhalten, die tatsächlich erhöhten Rechnungen werden sie nächstes Jahr erreichen, Mehrbedarfe sind demnach erst im Folgejahr realistisch zu beziffern.
· Geforderte Energieeinsparung mit den Möglichkeiten vor Ort in Beziehung setzen: Energieeinsparungen dürfen nicht zu langfristig kostenintensiveren Instandsetzungsmaßnahmen von Instrumenten, Gebäuden und Einrichtung führen. In energieintensiven Bereichen wie der Produktion von Platten können Maschinen nicht verlustlos an- und abgeschaltet werden.
· Verpflichtung der unterstützten Einrichtungen: Kultureinrichtungen, die aus dem Fonds unterstützt werden, müssen diese Unterstützung gegenüber Mietern des Ortes transparent machen und dürfen die Preise für eine Einmietung nicht gleichzeitig wegen gestiegener Energiekosten hochsetzen.
In Ergänzung zu einer plan- und wirkungsvollen, zeitnahen finanziellen Hilfe für betroffene Kulturinstitutionen im Rahmen des Fonds, sind perspektivisch dringend Investitionen nötig, um Kulturorten einen nachhaltigeren Betrieb zu ermöglichen. Energiesanierungen von Häusern, Umstellung von Beleuchtungskonzepten auf energiesparende Varianten und die Modernisierung von Heizungs- und Lüftungsanlagen sind nur einige Beispiele, die mit zum Teil erheblichen Kosten verbunden sind und im Regelfall von Kulturinstitutionen daher nicht ohne finanzielle Hilfen von Bund oder Ländern gestemmt werden können.
Kulturorte ermöglichen die Begegnung und den Austausch der Menschen. Sie bieten in ihrer Vielfalt unterschiedlichste Zugänge zum gemeinsamen Kulturerbe, das sie zugleich in die Gegenwart überführen und immer weiter und neu schreiben. Kulturorte tragen bei zum unbezahlbaren, ideellen Reichtum, zur Identität dieses Landes. Diese Orte zu schützen und diejenigen, die sie mit ihrer Kunst beleben, ist daher eine Gemeinschaftsaufgabe für uns als Gesellschaft.
Berlin, 06. Dezember 2022
Das Präsidium des Deutschen Musikrates