„In den 1970er Jahren hatte jeder durchschnittliche Haushalt wesentlich besser klingende Hifi-Anlagen als heute an Abhöreinrichtungen üblich ist,“ moniert Christian Kalinowski aka Numinos. „Unendlich viel Musik wird heute über Laptoplautsprecher gehört. Oder winzige Bluetooth-Laustrecher.“ Seiner Stimme hören die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des New-Talent-Workshops die Abscheu deutlich an. Numinos unterrichtet eigentlich an der Folkwang-Hochschule das Seminar „Musikproduktion, Sound & Effekte“. Als Produzent, DJ und Mastering-Engineer ist er spezialisiert auf Musikproduktion und Aufführungstechniken. Er weiß um die Notwendigkeit optimaler Abhörbedingungen. Er empfiehlt denjenigen, die nicht viel investieren können, den Kauf von Kopfhörern. „Konkurrenzfähiger Sound aus dem Bedroom-Studio“ heißt der Workshop, den er im „New Talent Day“ von popNRW gibt. Im Rahmen des Festivals c/o pop stellt die Industrie und Handelskammer Köln dafür bestens ausgestattete Räume bereit.
Das Förderprogramm popNRW bringt nicht nur Bands in Festivals und Clubs, sondern bietet auch das Coaching der Musikerinnen und Musiker an. Das wichtigste Format ist dabei alljährlich der „New Talent Day“, der stets im Rahmen der c/o pop convention in Köln stattfindet. 15 Workshops sind es am 3. Mai, davor ein gemeinsames Frühstück, abschließend ein geselliges Closing. Dicht gedrängt sitzen die Interessenten etwa in Philipp Jacob-Pahls Workshop zu „Grundlagen des Bookings und Zusammenhänge des Musikveranstaltungsmarkts“. Zum Titel zählt der Dozent thematisch auch die Organisation einer Tournee, vom Organisieren des Ticketvorverkaufs und dessen wöchentlicher Beurteilung über die Promo-Kampagne bis zur Planung der Routen (Itinararies). Hier unterbrechen ihn die meisten Interessierten mit Fragen.
Einen Raum weiter ernüchtert Johannes Ripken sein ebenso gedrängtes Publikum bezüglich des Problems eines „smarten Networkings und des Aufbaus wertiger Geschäftsbeziehungen“. Jegliches blinde Aussenden von Demos und jede Kaltakquise ist sinnlos – Ripken schildert, wie überlastet Produzenten und Labelmanager sind. Wer keinen persönlichen Zugang zu ihnen hat, hat keine Chance. Wenn jeden Tag 40.000 neue Songs bei Spotify eingestellt werden, braucht man starke Partner, um sich durchzusetzen. Networking ist zeitaufwändig und teuer. Hat man mal einen Entscheider gesprochen, muss der Kontakt hartnäckig gepflegt werden. Eine Followup-e-mail reicht nicht, denn nach einer verläuft der Kontakt im Sande. Weder die angebotenen Dienstleistungen eines Business Networking noch Customer-Relationship-Management-Systeme lösen das Problem. Vertrauen ist extrem wichtig bei Musik als emotionalem Erfahrungsgut. Man muss alles daran setzen, den persönlichen Austausch zu erreichen.
Es gibt auch Workshops zu musikalischen Fragen. Albrecht Schrader fragt zum Songwriting: „Was ist ein ‚guter Song’“? Er spielt Beispiele für eine Ökonomie der Mittel vor. Etwa epische Tonwiederholungen der Singstimme über wechselnden Harmonien. Die Beschränkung der Mittel macht die Aussage oft wirkungsvoller. Leicht entstehen dann aber hörbare Analogien zu früheren Songs anderer. Wie schlimm ist das? Schrader nimmt solche Ähnlichkeiten in Kauf, wichtiger ist ihm, dass er zur Qualität des Songs stehen kann. Hat man jedoch den Eindruck, dass der ganze Song etwas Schematisches hat, muss man ihn rigoros gegen den Strich bürsten oder neu beginnen. Auch Schraders Workshop ist sehr gut besucht. Die Mehrzahl der Teilnehmer hat keinen Sitzplatz. Lange beschränken sie sich ganz auf’s Zuhören, bevor eine Diskussion beginnt.
popNRW richtete den New Talent Day gemeinsam mit dem Verband unabhängiger Tonträgerunternehmen zum dritten Mal aus. Den Rahmen bot jedesmal die c/o pop convention. popNRW wird vom Landesmusikrat NRW, vom NRW Kultursekretariat, von der c/o pop und mehreren Popfördern getragen. Den „New Talent Day“ organisierten popNRW-Referentin Linn Meissner und Ina Schulz vom VUT West. Es förderte das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie NRW.
rvz
Fotos: Philipp Jacob-Pahls Workshop zu „Grundlagen des Bookings und Zusammenhänge des Musikveranstaltungsmarkts“ am 3. Mai 2019; Foyer der IHK Köln mit Anselm Kreuzer; Christian Kalinowski aka Numinos; Fotos: LMR NRW