Diskussion im Kleinen Sendesaal des Funkhauses Köln: Wie wirkungsvoll und wie nachhaltig sind Kulturprojekte mit Geflüchteten? Seit 2015 engagieren sich Kulturverbände in NRW im besonderen Maße für Kulturarbeit mit Geflüchteten. Wie nachhaltig ist diese Arbeit und vor welchen Problemen steht sie immer noch? Inwieweit können Geflüchtete im Kulturleben nicht nur mitwirken, sondern auch gestalten und eigene Angebote machen?
Experten haben viele Projekte in Berichten und Evaluationen untersucht. Eine Runde von Referentinnen und Referenten für die Kulturarbeit mit Geflüchteten stellt sich den Fragen von Moderator Hamzi Ismail (von links):
Sandra Hoch (Landesmusikrat NRW), Matthias Witt (Landesmusikakademie NRW), Michaela Kuczinna (Landesbüro Freie Darstellende Künste NRW), Carsten Nolte (LAG Soziokultur NRW) und Viola Boddin (Landesverband der Musikschulen in NRW). Sylvia Schmeck (WDR3) und Reinhard Knoll (Kulturrat NRW) eröffnen die Veranstaltung von WDR3 und Kulturrat NRW. 50 Besucher verfolgen das Gespräch. Kommenden Sonntag, 18:05 h, geht es bei WDR3 auf Sendung.
Die Referentinnen und Referenten vertreten Kultureinrichtungen, die Kulturprojekte mit Geflüchteten fördern und begleiten oder die Akteure der Projekte fortbilden. Die Einrichtungen haben alle eine längere eigene Geschichte der Arbeit in der kulturellen Vielfalt, doch das spezielle Engagement für Kulturarbeit mit Geflüchteten setzte in der Regel erst 2016 ein. Möglich machten es Mittel des Landes Nordrhein-Westfalen, die der Landtag eigens den Programmen zur kulturellen Integration widmete. Alle Einrichtungen haben ihre Projekte bis Ende 2018 systematisch beobachtet oder gar evaluiert und dabei besonders nach dem Gelingen auf dem Weg von der Willkommenskultur hin zur nachhaltigen Arbeit gefragt. Anlass genug für Moderator Hamzi Ismail, Eindrücke aus diesen Bilanzen öffentlich zu diskutieren.
Geht es konkret um die Geflüchteten in den Projekten oder geht es um mehr? Michaela Kuczinna plädiert für mehr, vor allem dafür, dass die Projekte zur kulturellen Integration auch die Präsenz anderer Kulturen in den öffentlichen Kultureinrichtungen steigern sollten. Viola Boddin stellt die 158 Projekte an öffentlichen Musikschulen in den Kontext der Arbeit des Musikschulverbandes, die auf eine Verbreiterung der Unterrichtsangebote in der kulturellen Vielfalt zielt. Letztlich wird das Engagement die Musikschule selbst als Ort verändern. Sandra Hoch sieht die Projekte als sehr erfolgreich an, vor allem seitdem eine überjährige Förderung längere Projektdauern erlaubt. Seit 2017 sind vermehrt Band- und Ensemblegründungen zu beobachten, auch neue Foren für diese Musik entstehen. Das verändert das Musikleben Nordrhein-Westfalens.
Werden diese Projekte für oder auch mit Geflüchteten gemacht? Matthias Witt erläutert partizipative Konzepte, die sich bewährt haben. Interkulturelles Singen, niedrigschwelliges Musizieren mit Kindern und Jugendlichen und Formate der individuellen kulturellen Artikulation sind erfolgreich. Hamzi Ismail ist trotz der beschriebenen positiven Entwicklungen noch nicht ganz überzeugt. Gibt es nicht noch Verbesserungsmöglichkeiten? Michaela Kuczinna sucht weitere Wege zur Übersetzung der Projektinhalte und zur Einbeziehung der Fähigkeiten und Qualifikationen der Geflüchteten. Das Landesbüro für freie darstellende Künste NRW, für das sie arbeitet, bildet „interkulturelle Guides“ aus, die die Kommunikation und Zielgruppenansprache in den Projekten optimieren.
Auch Sandra Hoch erkennt Verbesserungsbedarf und benennt Kommunikation und Vernetzung als Schlüssel zur nachhaltigen Wirkung. Carsten Nolte fasst Ergebnisse einer Evaluation der Projekte von soziokulturellen Zentren zusammen: Sprache ist die ausschlaggebende Voraussetzung für das Gelingen und für die Weiterqualifikation. Die Unterstützung des Spracherwerbs muss im Mittelpunkt stehen. Das Motto „Musik verbindet“ allein trage nicht weit. Wie ist die Resonanz an den Musikschulen? Die Projekte sind sehr divers, beschreibt Viola Boddin. Die geflüchteten Schüler sind in der Regel sehr motiviert, man spürt ihre freiwillige Entscheidung für ein Instrument, die mit entsprechender Begeisterung einher geht. Auch die Lehrkräfte lernen hinzu, z. B. in Bezug auf die feinen Tonabstufungen arabischer Tonarten.
Nachhaltigkeit sieht Sandra Hoch mittlerweile auf breiter Basis gegeben. Seit 2015 haben alle Projektdurchführenden dazu gelernt. Mittlerweile erhält sie auch Projektanträge von Geflüchteten selbst. Matthias Witt schildert Fälle, in denen Flüchtlinge zu Dozenten und Projektleitern werden. Andere teilen die Einschätzung nicht. Carsten Nolte erkennt Nachhaltigkeit erst, wenn sich das Miteinander leben in der Gesellschaft insgesamt positiv verändert hat. Nach Michaela Kuczinna ist die Fluktuation von Geflüchteten in den Projekten zwar zurückgegangen, was ein Indiz für nachhaltige Wirkungen ist. Doch nach ihrer Evaluation hat ihr Büro vor allem an den Rahmenbedingungen für die Teilnahme von Frauen gearbeitet. Carsten Nolte fordert auch eine Diskussion der Fluchtursachen und eine politische Ebene in der kulturellen Integrationsarbeit.
Viola Boddin und Michaela Kuczinna sehen eine besondere Bedeutung in der Vernetzung der Einrichtungen. Der Landesverband der Musikschulen stellt auch einschlägige Unterrichtsmaterialien in seinem Portal bereit. Der Austausch von Arbeitsmaterialien und Projekterfahrungen ist wichtig. Eine herausragende Rolle im Bereich der Musik spielt das Integrations-Portal des Deutschen Musikinformationszentrums, das der Deutsche Musikrat in Bonn unterhält (miz.org). Es gibt einen kartographierten Überblick über Projekte mit ihren Erfahrungen und bietet auch Handreichungen für die praktische Arbeit zum Download.
rvz
Fotos: Hamzi Ismail (Moderation WDR3), Sandra Hoch (Landesmusikrat NRW), Matthias Witt (Landesmusikakademie NRW), Michaela Kuczinna (Landesbüro Freie Darstellende Künste NRW), Carsten Nolte (LAG Soziokultur NRW) und Viola Boddin (Landesverband der Musikschulen in NRW) im Kleinen Sendesaal des Funkhauses Köln. Fotos: LMR NRW.