Die menschliche Stimme ist eines der ältesten und vielseitigsten Instrumente der Menschheit. Sie hat die Fähigkeit, Emotionen auszudrücken, Geschichten zu erzählen und Gemeinschaften zu verbinden. In Nordrhein-Westfalen, einem Bundesland, das durch kulturelle Vielfalt und eine reiche musikalische Tradition geprägt ist, spielt die menschliche Stimme eine zentrale Rolle im kulturellen Leben. Von klassischen Chören über A-cappella-Ensembles und Popformationen bis hin zu den Gesängen, die auf Straßenfesten, in Kirchen oder auf Bühnen zu hören sind, ist das Singen ein elementarer Bestandteil der kulturellen Identität dieser Region.
Mit Tausenden von Chören, von Kinder- und Jugendchören bis hin zu professionellen Vokalensembles, wird in NRW die Tradition des gemeinsamen Singens gepflegt und weiterentwickelt. Das gemeinsame Singen fördert nicht nur die musikalische Bildung, sondern auch soziale Bindungen. Es bringt Menschen unterschiedlicher Altersgruppen, Kulturen und sozialer Hintergründe zusammen und schafft ein Gemeinschaftsgefühl, das in einer zunehmend individualisierten Gesellschaft von großem Wert ist.
Viele Projekte, von Schulchören über Gesangsklassen bis hin zu interkulturellen Musikinitiativen, nutzen die Stimme als Mittel, um Kinder und Jugendliche an Musik heranzuführen. Das Programm „JeKits – Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen“, ein kulturelles Bildungsprogramm in Grund- und Förderschulen des Landes Nordrhein-Westfalen, ausgeführt vom Landesverband der Musikschulen in NRW, hat eigens eine Programmlinie für das Singen. Diese Arbeit fördert nicht nur die musikalischen Fähigkeiten, sondern stärkt auch das Selbstbewusstsein, die Kommunikationsfähigkeiten und das Verständnis für andere Kulturen. Gerade in einem Bundesland, das durch Migration und kulturelle Vielfalt geprägt ist, hat die Stimme die Kraft, Brücken zu bauen und Gemeinschaft zu schaffen.
Immunisierung
Zudem nutzt das Singen der Physis. Der amerikanische Psychologe Robert Beck untersuchte Speichelproben von Chorsänger‘innen und stellte fest, dass im Laufe der Chorprobe der Cortisolspiegel sank, während die Ausschüttung von sekretorischem Immunglobulin A anstieg. Dieses Protein schütten die Schleimhäute der oberen Atemwege aus, und es gilt als erste Verteidigungslinie gegen Infekte. Singen wirkt sich also positiv auf unser Immunsystem aus.
Auch die musikalischen Traditionen Nordrhein-Westfalens wären ohne die Stimme nicht denkbar. Von der sakralen Chormusik, die in den Kirchen des Bundeslandes erklingt, bis hin zu den Gesängen der Karnevalsvereine, die Lebensfreude und Humor zum Ausdruck bringen, ist die menschliche Stimme ein unverzichtbares Element des kulturellen Lebens. Dabei zeigt sich die Stimme als ein Instrument, das sowohl in der Tradition verwurzelt als auch offen für Innovationen und neue musikalische Ausdrucksformen ist.
Die Einschränkungen durch die Pandemie haben deutlich gemacht, wie sehr das Singen und der Klang der Stimme das soziale und kulturelle Leben bereichern. In Nordrhein-Westfalen haben Initiativen wie digitale Chorproben und Open-Air-Konzerte gezeigt, wie wichtig die Stimme für das Durchhaltevermögen und die Kreativität der Kulturszene ist. Die Rückkehr von Live-Veranstaltungen und die Möglichkeit, wieder gemeinsam zu singen, unterstreichen den emotionalen und gemeinschaftsstiftenden Wert der Stimme.
Die Verbände und das Singen
Die Förderung des Singens in Nordrhein-Westfalen wäre ohne das Engagement zentraler Akteure wie des Chorverbands NRW, des Verbands Deutscher Konzertchöre NRW, der Gemeinden der Kirchen, der Mitgliedsvereine der Verbände und vieler verbandsfreier Vokal-Ensembles nicht denkbar. Diese Institutionen bilden das Rückgrat der lebendigen Singszene, bewahren die Tradition des Singens und entwickeln sie weiter. Ihr Einsatz geht dabei weit über die bloße Organisation von Konzerten hinaus; sie schaffen Strukturen, die es Menschen ermöglichen, unabhängig von Alter, Herkunft oder musikalischem Vorwissen Teil der Chorlandschaft Nordrhein-Westfalens zu werden. Der Landesmusikrat NRW fördert Projekte der Verbände, der Mitgliedsvereine und auch von verbandsfreien Ensembles mit Mitteln, die die Landesregierung aus Glücksspielzweckerträgen zur Verfügung stellt.
Der Chorverband NRW ist dabei als größter Landesverband in Deutschland ein Motor für das Chorsingen im Bundesland. Er bietet eine breite Palette an Fortbildungsprogrammen für Chorleiter‘innen und Sänger’innen und unterstützt die Gründung neuer Chöre. Zusammen mit der Chorjugend NRW setzt er sich dafür ein, das Singen in Schulen, Kindertagesstätten und in der Jugendarbeit zu fördern. Mit Projekten und Wettbewerben sichern Chorverband und Chorjugend die Qualität der Chormusik und sie verbreiten die Freude am gemeinsamen Singen in allen Gesellschaftsschichten. Das Ziel des interkulturellen Chors Brückenklang, getragen vom Chorverband und gefördert vom Landesmusikrat, ist es, alle Kulturen in NRW singend einzubeziehen. Die Verbände sind zudem wichtige Ansprechpartner für politische und kulturelle Institutionen, um die Rahmenbedingungen für die Chormusik zu verbessern.
Der Verband Deutscher Konzertchöre NRW konzentriert sich insbesondere auf die Förderung ambitionierter, oft semiprofessioneller Chöre, die sich der anspruchsvollen Konzertliteratur widmen. Diese Chöre sind kulturelle Leuchttürme, die durch ihre hohe musikalische Qualität das Publikum begeistern und ein breites Spektrum der Chormusik erlebbar machen – von der klassischen Oratorienliteratur über zeitgenössische Werke bis hin zu innovativen interdisziplinären Projekten. Der Verband unterstützt seine Mitgliedschöre nicht nur durch Beratung und Vernetzung, sondern auch durch die Organisation von Festivals, die das musikalische Niveau weiterheben und zugleich den Austausch unter den Chören fördern. So plant er zum Jahr der Stimme ein Kinder- und Jugendfest im Juni 2025 in Essen.
Die Gemeinden der Kirchen sind traditionell ein unverzichtbarer Ankerpunkt für das Singen in Nordrhein-Westfalen. Kirchenchöre und andere vokale Formationen, die in kirchlichen Gemeinden angesiedelt sind, spielen eine zentrale Rolle bei der Gestaltung des spirituellen und kulturellen Lebens. Ihre Gesänge bereichern Gottesdienste, religiöse Feste und Konzerte gleichermaßen und schaffen eine Verbindung zwischen Musik und Spiritualität. Durch die Verknüpfung von Kirchenmusik mit Bildung und Gemeinschaftsarbeit leisten die Gemeinden auch einen Beitrag zur musikalischen und sozialen Entwicklung junger Menschen.
Die Mitgliedsvereine der Chöre in NRW, die oft auf eine lange Tradition zurückblicken können, sind das Herzstück der Chorkultur im Land. Sie organisieren regelmäßige Proben und Aufführungen, bieten eine Plattform für musikalische Begegnungen und stärken die Gemeinschaft vor Ort. Besonders in ländlichen Regionen sind sie Kulturträger, die durch ihr Engagement das kulturelle Leben bereichern. Ihre Arbeit wird überwiegend ehrenamtlich geleistet und sie zeigt, wie stark die Verbindung zwischen Musik und bürgerschaftlichem Engagement ist.
Diese Verbände und Gemeinschaften wirken zusammen wie ein fein abgestimmtes Netz, das das Singen in Nordrhein-Westfalen fördert, schützt und weiterentwickelt. Sie schaffen Räume für Kreativität und Begegnung, sorgen für die Weitergabe von Wissen und Können und machen die Bedeutung der menschlichen Stimme in der Gesellschaft hörbar und sichtbar. Ihr Engagement zeigt, dass das Singen weit mehr ist als ein Hobby – es ist ein Bestandteil des kulturellen Erbes und der sozialen Identität des Landes.
Der Landesmusikrat Nordrhein-Westfalen führt das Jahr der Stimme zusammen mit dem Chorverband NRW, dem Verband der Konzertchöre NRW und weiteren Vokalvereinigungen durch. Die Partner lenken mit ausgesuchten Konzerten und Festivals quer durch Nordrhein-Westfalen die Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte der Stimme. Jede Veranstaltung wird durch eine Pressemitteilung angekündigt werden.
Die Initiative der Landesmusikräte
Die Tradition der 16 Landesmusikräte, jedes Jahr ein Instrument als „Instrument des Jahres“ zu küren, dient nicht nur der Würdigung der Vielfalt der Musikinstrumente, sondern verfolgt auch eine kulturpolitische und pädagogische Idee. Ziel ist es, jeweils die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Instrument zu lenken, um dessen Geschichte, Klangvielfalt und Bedeutung in der Musiklandschaft hervorzuheben. Dabei geht es nicht nur um die Förderung professioneller Musiker‘innen, sondern auch um die Begeisterung einer breiten Öffentlichkeit, insbesondere junger Menschen, für die Welt der Musik.
In jedem Jahr werden spezielle Konzerte, Workshops, Ausstellungen und Bildungsveranstaltungen rund um das ausgewählte Instrument organisiert. Dadurch wird ein Instrument, das vielleicht sonst im Schatten populärerer Instrumente steht, ins Rampenlicht gerückt. Diese Fokussierung trägt dazu bei, die Wahrnehmung für die musikalische Vielfalt zu stärken und Menschen dazu zu inspirieren, selbst ein Instrument zu erlernen.
Die Initiative verfolgt auch das Ziel, das Bewusstsein für die Bedeutung von Musik und musikalischer Bildung zu schärfen. Musik hat eine grundlegende kulturelle, soziale und persönliche Relevanz. Deshalb sollte Musikförderung in allen Bildungs- und Kultursystemen verankert sein.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Initiative ist die Zusammenarbeit mit Musikschulen, Orchestern, Verbänden und Musiker‘innen. Die Partnerschaften ermöglichen es, ein Spektrum an Aktivitäten und Projekten anzubieten, das von der Förderung des musikalischen Nachwuchses bis hin zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Herausforderungen des Musiklebens reicht. Dabei werden auch die handwerklichen und kulturellen Traditionen rund um die Herstellung und den Gebrauch der Instrumente gewürdigt.
Die Aktion bietet außerdem die Gelegenheit, die gesellschaftliche Bedeutung von Musik in den Fokus zu rücken. Damit leisten die Landesmusikräte nicht nur einen Beitrag zur musikalischen Bildung, sondern auch zur Wertschätzung der kulturellen Vielfalt. Sie schaffen ein Bewusstsein dafür, wie eng Musik mit unserer Identität und unserem Leben verwoben ist, und inspirieren Menschen dazu, sich mit der Musik auseinanderzusetzen – sei es durch das Spielen eines Instruments, durch das Singen, durch den Besuch von Konzerten oder durch die Unterstützung musikalischer Initiativen.
Robert von Zahn, Januar 2025