Wenn die Hörner Sascha Thieles "Pseudo" mit verschränkten Tonwiederholungen eröffnen, glaubt der Hörer zunächst, in ein Werk der amerikanisch geprägten Minimal Music geraten zu sein. Doch wenn nach und nach weitere Instrumentengruppen hinzutreten, wird klar, dass Thiele weniger einen variierenden Minimal-Satz als einen motorisch treibenden sinfonischen Satz im Sinn hat. Die Tonwiederholungen steigern sich zum steten Pochen, Dialoge zwischen den Stimmgruppen entstehen. Zuweilen setzt Thiele blockhaft die Gruppen gegeneinander, doch alles wird durch das Pulsieren der Musik zusammengehalten.
Die Musikerinnen und Musiker des Landesjugendorchesters nahmen sich dem Werk mit Lust, ja mit Feuer an, von Sebastian Tewinkels Dirigat akkurat geführt. Und mit Begeisterung gestalteten sie Thieles Schlusspointe: Noch während die letzten Phrasen der Komposition erklingen, schreibt er einzelnen Musikern das Wechseln in den Applaus vor. Bis sie dann alle dem Publikum applaudieren und das nicht anders kann als einzustimmen.
Das Festival "Acht Brücken" läuft gut an, die Säle sind gefüllt, bei manchem Konzert müssen Besucher abgewiesen werden. Als wollten die Rheinländer nichts anderes als Neue Musik hören. Auch der Konzertsaal der Hochschule für Musik und Tanz ist gefüllt, als nicht nur das Landesjugendorchester, sondern auch das Studio Musikfabrik am 1. Mai Werke von Andriessen, Huber und Thiele spielen.
„Klokken voor Haarlem“ von Louis Andriessen führte zur Einweihung einer Glocke in der frühen Nachkriegszeit. Zwei Pianisten und zwei Schlagzeuger erzählten fast tonmalerisch von der niederländischen Feier, die vor dem historischen Hintergrund, dass die Wehrmacht die Glocken jener Kirche zuvor zu Munition einschmolzen, eine besondere Bedeutung erhält. Danach ein weiteres Werk Andriessens: "Mouse running" ist eine wilde und vielstimmige Jagd am Marimbaphon, behende und mit souveränen großen Intervallsprüngen geboten von Vera Seedorf.
Studio Musikfabrik widmete sich auch einem Werk Nicolaus A. Hubers: „Eröffnung und Zertrümmerung“ von 1991. Das Landesjugendensemble von Musikfabrik und Landesmusikrat NRW wurde dabei partiturgemäß durch Zuspielungen ergänzt: Aufschlagendes Glas, berstendes Porzellan, Straßengeräusche, Straßen- und Caféhausmusik überlagerten aus Lautsprechern den kammermusikalischen Satz, der wie ein großes Staccato wirkt. Die Musiker spielten vor und hinter dem Publikum, Peter Veale hielt die Fäden umsichtig zusammen, dabei von keinem Geringerem als Huber selbst beobachtet. Der lange Applaus galt den Interpreten und den Komponisten. Thiele und Huber traten auf die Bühne und erwiesen auch den Musikerinnen und Musikern ihre Reverenz.
Sascha Thieles „Pseudo“ wurde vom Landesmusikrat NRW in Auftrag gegeben. Der Kompositionsauftrag und die Arbeit der beiden Landesjugendensembles werden vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW gefördert. Das Landesjugendorchester NRW steht in der Trägerschaft von Verein zur Förderung von Landesjugendensembles NRW und Landesmusikrat NRW, das Studio Musikfabrik in der Trägerschaft von Musikfabrik und Landesmusikrat NRW.
rvz
Foto: Das Landesjugendorchester unter der Leitung von Sebastian Tewinkel am 1. Mai im Konzertsaal der Hochschule für Musik und Tanz Köln; Foto: LMR NRW.