Das zweite Seminar des Projekts „MüzikNRW“ des Landesverbands der Musikschulen in NRW behandelte „Grundlagen des Arrangierens türkischer Melodien“. Das Projekt möchte die öffentlichen nordrhein-westfälischen Musikschulen öffnen für die Musik türkischer Einwanderer und ihrer Nachkommen. Es erörtert u.a. Fragen der politischen Integration, der Elternarbeit und der praktischen musikalischen Arbeit.
Im Zentrum des zweiten Seminars standen Ensembles mit westlichen und mit türkischen Instrumenten wie der Bağlama oder der Flöte Mey. Beim jüngsten Seminar am 5. April in der Musik- und Kunstschule Duisburg hatte ein Teilnehmer gleich einen Koffer voller Meys und einer Duduk dabei. Zusammen mit etlichen Bağlamas und Gitarren in der Teilnehmerrunde und der Violine des Dozenten Ruddi Sodemann ergaben sich so farbige Möglichkeiten, Arrangements in Klang umzusetzen.
Sodemann ist Leiter der Joseph-Metternich-Musikschule in Hürth, sein Partner in der Workshopleitung ist Koray Berat Sari, der derzeit an der Außenstelle Aachen der Hochschule für Musik und Tanz Köln Gitarre studiert, zugleich ein Virtuose auf der Bağlama ist und als Mitglied des Jugendzupforchesters NRW seit langem Erfahrungen im Zusammenwirken türkischer und westlicher Zupfinstrumente hat.
Türkische Musik ist traditionell einstimmige Musik, die westliche Praxis hingegen geht von Mehrstimmigkeit aus. Bringt man türkische und westliche Instrumente in einem Ensemble zusammen stößt man allein schon durch diesen Umstand auf Hindernisse. Denn wer etwa anatolische Melodien mit Begleitstimmen oder gar mit einem Groove versieht, kann leicht in die Falle eines völligen Unverständnisses zumindest bei türkischen Hörern tappen. Die Vereinigung der Musikkulturen auf einer solchen Ebene wäre die eines kleinsten gemeinsamen Nenners bar jeglicher Authentizität. Deshalb lernt man im Seminar von MüzikNRW, mit Bedacht türkische Melodien zu begleiten, diese im westlichen Sinne zu einem Tonsatz „auszusetzen“ und so zu gestalten, dass etwa Blockflöte, Kaval, Violine, Bağlama, Gitarre und Kontrabass zusammenspielen können.
Ein anderes Hindernis bilden Taktarten und Rhythmen. Während türkische Kinder mit Siebener- und Elfertakten nicht sonderlich große Probleme haben, weil sie sie den überwiegenden Teil ihres Lebens gehört haben, tun sich westlich erzogene Kinder schwer mit diesen Takten. Mühseliges Zählen ist die Folge, und auch die Rhythmen wollen angeeignet sein.
Das Seminar hat keine zehn Minuten begonnen, da teilen Sodemann und Sari schon Notenblätter aus, auf denen eine türkische Melodie notiert ist, ergänzt um eine Leerzeile. Alle Teilnehmer werden gebeten, eine Begleitung zu entwerfen. Nicht wenige schlucken. Der erste, der sich traut, einen Entwurf vorzustellen, ist Jörg Falk, Gitarrenlehrer der Musikschule Duisburg und Mitautor einer Bağlama-Schule. Die Runde nickt wohlgefällig. Tuğrul Türken, Bağlama-Lehrer an der Musikschule Bochum, präsentiert einen Gegenentwurf – ganz anders im Klang und mit schnelleren Notenwerten. Beide spielen ihre Begleitstimme zur Melodie, die Koray Berat Sari anstimmt.
Von Begleitstimmen geht es zu Formfragen. Wie einfach wirkt der Formaufbau von „Alle Vögel sind schon da“ verglichen mit dem Volkslied „Kirikhan Halayi“, dessen Formen weit weniger gleichmäßig proportioniert sind. Falk sieht es gelassen: „An den Phrasen hängt halt mal ein Takt dran oder ist einer weniger, das ist doch nicht so schlimm.“
Doch wie gestaltet man nun ein komplettes mehrstimmiges Arrangement? Sodemann teilt ein Musterbeispiel aus, „Boran“: Aus der Melodie hat er einen vierstimmigen Satz geformt. Die neuen Stimmen halten sich an die Melodie, dies nicht in Homophonie, sondern durchaus polyphon. Die einzelnen Elemente sind nicht neu erfunden, sondern alle aus der Melodie abgeleitet, entlehnt, teils an anderer Stelle wieder eingesetzt. Ein Arrangement im Sinne der Authentizität der Melodie.
Viele weitere Literaturbeispiele folgen. Instrumentationsfragen werden diskutiert. Welche Ensemble-Instrumente verträgt die Bağlama, ohne überdeckt zu werden? Welche notierten Rhythmen kann ich anbieten, ohne Kinder zu überfordern? Koray Berat Sari zeigte Harmonisierungen von türkischen Melodien mit den verschiedenen Akkordmöglichkeiten und die ganze Runde probierte die Varianten in einer Art Projekt-Ensemble aus.
So werden Grundlagen gelegt, die zur Ensemble-Bildung führen können, in denen deutsche und türkischstämmige Kinder und Jugendliche mitarbeiten und Stücke aus verschiedenen Kulturen interpretieren und kreativ entwickeln können.
Am 23. Mai geht es ab 10 Uhr in der Musikschule Bochum um interkulturelle Elternarbeit.
MüzikNRW ist ein Projekt des Landesverbands der Musikschulen in NRW und wird gefördert vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW.
rvz
Fotos: Arbeitsplatz, Teilnehmerrunde und Flötenkoffer im Arrangement-Seminar von "Müzik NRW" am 5. April 2014 in der Musik- und Kunstschule Duisburg. Fotos: LMR NRW.