Erreicht eine Kultureinrichtung wie das ZAKK Düsseldorf ein Publikum, das zu 30 % Migrationshintergrund hat, ist das beachtlich, doch für Robert Hillmanns vom ZAKK ist das nicht genug. Denn die Bevölkerung von Düsseldorf hat zu 36 Prozent Migrationshintergrund, also muss weitergearbeitet werden. Von allein geschieht nichts, von der Basis der Einrichtung aus auch nicht viel, der Prozess der interkulturellen Öffnung einer Einrichtung ist ein Top-Down-Prozess, der alle Bereiche der Einrichtung einbeziehen muss, auch das Personal, fordert Hillmanns. Ein soziokulturelles Zentrum wie ZAKK oder Ringlokschuppen Mühlheim, dessen Arbeit Claudia Saerbeck vorstellt, tun sich da leichter als ein kommunaler Betrieb. Wenn etwa das Kulturbüro Dortmund, das seit Jahrzehnten die interkulturelle Durchdringung seiner Arbeit betreibt, über viele, viele Jahre hinweg unter einem Einstellungsstop leidet, sind personelle Umstrukturierungen schwer zu verwirklichen, kommentiert Claudia Kokoschka, Leiterin des Büros
Dieses und das Domicil Dortmund sind Partner des Landesmusikrats bei der Ausrichtung eines Brückenklang-Symposiums am 11. März im Domicil. Mit Panels, Workshops und Musikpräsentationen ziehen die Veranstalter und Moderator Peter Grabowksi Bilanz, welche Probleme der Brücken zwischen altheimischen und Einwanderungs-Kulturen sich in den ersten eineinhalb Jahren des Programms "Brückenklang" aufgetan haben.
Da ist etwa die bemerkenswert geringe Präsenz der Musik der kulturellen Vielfalt in den Medien. Martin Laurentius (Jazz Thing), Bernd Hoffmann (WDR3), Tuba Tuncak (COSMO), Günther Huesmann (SWR) und Mike Kamp (Folker) suchen in einer Diskussion Möglichkeiten, die Präsenz zu steigern. Es gibt positve Ansätze. Rundfunksendeplätze von Jazz und zuweilen auch klassischer Musik beziehen immer häufiger Musik anderer Kulturen ein. Huesmann sieht dort seit Jahren das interessanteste innovative Potenzial - ein Sender wäre schlecht beraten, wolle er das nicht ausstrahlen. Hoffmann hat seinem WDR3 Jazzpreis eigens eine neue Kategorie "Musikkulturen" hinzugefügt. Doch die Printmedien brauchen bekannte Künstler und publikumsträchtige Geschichten, um Musikgruppen der Einwanderung in die mageren Kulturteile einrücken zu lassen. An denen hapert es bei Ensembles der Einwanderung oft. Und die wirtschaftliche Situation der Printmedien verringert ihre Handlungsspielräume stetig.
Ein Workshop beschäftigt sich mit dem Komplex der Sprachen, der größer geworden ist, seitdem manche Ensembles auch Musiker aus der großen Zahl aktuell Geflüchteter einbeziehen. "You Shall Rise" aus Meerbusch bringt 24 Musikerinnen und Musiker auf die Bühne, sie stammen aus zehn Nationen - überwiegend afrikanische - und haben keine Sprache, die alle verbindet, nur Gesten, Musik und andere nonverbale Kommunikation. Bandmanager Alexander Thomas schildert die pragmatischen Lösungen, die ständig neu in Proben und Konzerten gefunden werden. Hingegen ist das "Transorient Orchestra" aus Dortmund schon lange auf den deutschen Weltmusikbühnen zuhause und seine seit vielen Jahren hier lebenden Mitglieder verständigen sich auf Deutsch, wobei es während der Probenarbeit immer wieder zu einzelnen türkischen oder arabischen Sprachinseln kommt, wie Andreas Heuser schildert.
Das Vokal- und Instrumentalensemble "Nefes" von Enver Yalçın Özdiker liebt die Sprachenvielfalt. Zusammen mit einem Bandoneonorchester brachten sie kürzlich Musik aus fünf Kulturen und in fünf Sprachen auf die Bühne. Wichtig ist es nicht, mit einer bestimmten Sprache ein bestimmtes Einwanderungspublikum zu locken, sondern durch die Sprachenvielfalt die übergreifende Botschaft der Musik schillern zu lassen. Musikalisch müssen aber in der Kulturenvielfalt viele Kompromisse und Arrangements getroffen werden, damit nicht für die Ohren unangenehme Kollisionen von Tonskalensystemen entstehen.
Gibt es Unterstützung der öffentlichen Hand für diese Musik der kulturellen Vielfalt? Der Dortmunder Stadtdirektor Jörg Stüdemann und der Präsident des Landesmusikrats Reinhard Knoll hatten in ihren Ansprachen zu Beginn des Symposiums vehement das öffentliche Engagement für diese Musik eingefordert. Doch die Wege zur Förderung sind eng kanalisiert und schwer überschaubar. Eva Luise Roth (Landesmusikrat NRW), Rainer Bode (LAG Soziokulturelle Zentren NRW) und Claudia Kokoschka blätterten kommunale und Landesfördermöglichkeiten auf. Vieles ist möglich und Mittel sind da, doch die Diskussion zeigt, wie groß der Beratungs- und Überblicksbedarf immer noch ist. Kokoschka erinnerte an das "Dschungelbuch" früherer Jahre, das Kulturrat NRW und Landesregierung als Handbuch der Förderung erarbeiteten und aktualisierten, dann aber mangels Finanzierung einstellten.
Die Musik selbst darf im Symposium nicht fehlen. Der Spezialist für tamilische Musik Kousigen Sooriyakumar und Jeyakumarajn Kumarasamy vom Dachverband der Dortmunder Migrantenvereine VMDO bieten eine Präsentation der VMDO-Arbeit als eine künstlerische Bühnen-Performance von eindrucksvoller Intimität und Aussagekraft. Der Deutsch-türkische Projektchor von Enver Yalçın Özdiker singt deutsche und türkische Lieder, die Chorleiter Özdiker mehrstimmig arrangiert hat und am Klavier begleitet. Die Mehrstimmigkeit mindert den Eindruck großer Kantablität türkischer Volksmusik nicht im Mindesten. Warum diese Musik nicht dauerhaft in den Repertoires der 3.200 Chöre im Chorverband NRW etablieren? Verbandspräsidentin Regina van Dinther erläutert im Gespräch mit Moderator Peter Grabowski das immer engere Verhältnis, das der traditionsbewusste Verband zu den Gesangskulturen der Einwanderung pflegt.
Das Symposium schließt mit einem Abendkonzert von zwei Bands, "You Shall Rise" und "Transorient Orchestra". Im Ablauf des Tages umklammern Vormittags-Soundcheck und Abendkonzert die Wortteile, die sich in die Bühnendisposition und Verkabelung fügen, was der Tontechnik, der Veranstaltungsorganisation durch Anika Mittendorf (Landesmusikrat NRW) und der Hausorganisation von Amanda Matzke (Domicil) einiges abverlangt.
Hat das Publikum über den Nachmittag hinweg aus etwa neunzig Personen bestanden, ist der Saal beim Konzert voll - "You Shall Rise" lohnt dies mit farbigen, groovigen und oft reggae-basierten Musikstücken, die Freiräume für fantasievolle Soli bieten. Das "Transorient Orchestra" vereint orientalische Rhythmen und Melodieführungen mit Jazzelementen, wie sie die Musik des Ruhrgebiets vermehrt prägen. Schließlich stellt sich das Ensemble ja dem eigenen Anspruch, die eigentliche Musik des Ruhrgebiets zu formen.
"Brückenklang" wird diesen Musikforen weiter Foren bieten und in diesem Jahr auch vermehrt Fortbildungsmöglichkeiten an die Seite stellen. Die Landesmusikkademie NRW sorgt als ständiger Mitbetreiber des Programms für die Kompetenz des Angebots, das landesweit gilt. Immerhin wird "Brückenklang" ja auch vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW finanziert.
rvz
Fotos: Der Deutsch-türkische Chor unter Leitung von Enver Yalçın Özdiker, das tamilische Ensemble des VMDO Dortmund, das Transorient Orchestra und die Band "You Shall Rise" beim NRW-Symposium von Brückenklang am 1. März 2017 im Domicil Dortmund; Fotos: Kurt Rade.