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Chorszene NRW: Bildungskongress in Hagen

Einige hundert Sängerinnen und Sänger waren in der Stadthalle Hagen zusammengekommen, als Hermann Otto, Präsident des Chorverbands NRW, den Bildungskongress „Chorszene NRW“ eröffnete. Er stellte das Konzept des Kongresses vor und erteilte allen Erwartungen an Verbandliches eine klare Absage: „Wir konzentrieren uns hier ganz auf die Musik, ihre Erarbeitung und ihre Vermittlung.“ So war die Abfolge der Workshops auch in der Tat angelegt. Durchweg ging es um musikalische Praxis. Viele Stilrichtungen des Chorgesangs wurden angesprochen, der Jazz fiel dabei aus, denn Jazzchor-Spezialistin Sascha Cohn war erkrankt.

Felicitas Blome, Geschäftsführerin des Verbands, gab einen Überblick über die vierzügig parallel laufenden Workshops und wer glaubte, er könne sich ohne aktive Mitwirkung in die hinteren Reihen setzen, den belehrte Claudia Rübben-Laux sogleich eines Besseren: Mit ihrer zupackenden Art sog sie alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer in eine Warm-up-Gymnastik, die die Sehnen ächzen ließ. Mitmachen war das oberste Gebot: Fritz ter Wey lehrte in seinem Workshop „Ratibor und der Fluss Mississippi“ rhythmischen Sprechgesang als Grundlagendisziplin von Chorarbeit. Stück für Stück, einige davon von Orff-Schülern, setzte er seinen Teilnehmern vor, teilte sie in Rhythmusgruppe und Deklamationsgruppe ein und schuf so mehrstimmige Sprechsätze.

In Volker Buchlohs Workshop „Liebesschwüre und andere Männerlügen“ lernte man neue Konzertformate und -dramaturgien zu entwickeln. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen entwickelten aus Song-Inhalten heraus ansprechende Programme, die sie mittels Arrangieren von Karten mit Programmteilen am Clipboard feinschliffen. Robert Sund stellte „Verzaubernde Lieder aus dem kalten Norden“ vor, nicht frontal, sondern durch Notenausgabe. Vom Blatt singend erarbeitete sich der Workshop ein unbekanntes Repertoire. Auch Willi Kastenholz und Ute Debus brachten neues Repertoire näher, sie widmeten sich ganz der Musik der Renaissance, Kastenholz später auch dem Deutschen Volkslied, dessen Bezug zur aktuellen Gesellschaft er durch Erläuterung der Textbedeutungen herstellte.

Einem typischen Problem des A-cappella-Chors näherte sich Harald Jers in seinem Workshop „Hilfe, wir sinken“. Faszinierend, in welchem Geflecht von psychologischen, gruppendynamischen, akustischen und physischen Abhängigkeiten er die Gefahren für die Intonation sieht. Die Workshop-Besucher erhielten praktische Anleitungen, z.B: zum Trainieren des horizontalen Stimmgedächtnisses, in dem man aus einer Chorstimme zur Klavierbegleitung immer die Töne einer bestimmten Höhe singt. In ähnlicher Weise löste ein Dutzend weiterer Dozenten in den Workshops praktische Probleme der Chorszene.

In einige Workshops schallte Mendelssohns „Elias“ hinein, denn im großen Saal bot der Hagener Generalmusikdirektor Florian Ludwig eine Teilbesetzung seiner Sinfoniker und einen Projektchor auf. Zum Workshop gemeldete Chordirigenten durften die Heerschar leiten, wobei Ludwig etliche Hinweise von bestechend handwerklicher Bodenhaftung gab. Es war gewissermaßen ein Workshop der Erholung, denn hier durften die anderen Teilnehmer nicht aktiv mitwirken.

Dann lud der Landesjugendchor NRW zu einer offenen Chorprobe. Hermann Godland und Christiane Zywietz-Godland studieren mit dem Chor „Ein deutsches Requiem“ von Johannes Brahms ein und erweiterten in Hagen die Besetzung um Workshopteilnehmer. Wer sich vorsichtig an die Seite setzen wollte, den bugsierte ein Bassist hurtig auf einen freien Platz in die Chorreihen, und sogleich ging es mit Teil 4 des Requiems voran. Vom Blatt singend hinein in die Brahmssche Chromatik und damit in Fluten von Akzidenzien. Hermann Godland dirigierte, Christiane Zywietz-Godland begleitete am Flügel, der Chor sang leidlich und hatte offenbar schon etliche Proben hinter sich.

Christiane Zywietz-Godland brach ab und mahnte eine bessere Aussprache an: Bei den i-Lauten bitte die Backenzähne auseinander und immerzu Konsonanten, Konsonanten. Das Vertrauen wuchs, die Workshopbesucher schwammen nicht nur mit, sondern brachten sich lauter ein. Hermann Godland brach immer öfter ab. Sarkastisch erläuterte er dem Publikum, dass mancher Chorleiter ob solch falscher Töne der Bässe nach so vielen Proben sicher verzweifeln könne, doch er wisse, dass die jungen Menschen intelligent genug seien, um die Partie auch wieder sauber zu intonieren. Die Probe ging weiter, doch der Berichterstatter schlich sich schlechten Gewissens zur Hintertür hinaus.

So gelang dem Chorverband NRW ein Bildungskongress für die Chorszene mit rein praktischen Ansprüchen, und er erreichte sein Ziel vierzügig. Der Kongress wurde vom Landesmusikrat NRW und dem Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW gefördert.

rvz

Fotos: Willi Kastenholz und Ute Debus, der Landesjugendchor NRW und Hermann Godland, Hermann Otto, Felicitas Blome und schließlich Volker Buchloh, Goethe rezitierend, während des Bildungskongresses "Chorszene NRW" am 20.-21. September in der Stadthalle Hagen. Fotos: LMR NRW.