Am 9. November erinnerte das Landesjugendorchester NRW an die Reichsprogromnacht vor 75 Jahren. Im Orchesterzentrum Dortmund interpretierten die 104 jungen Musikerinnen und Musiker Gustav Mahlers 1. Sinfonie und stellten sie in den Kontext von Tagebucheinträgen aus einem polnischen Ghetto. Drei Musikerinnen aus dem Orchester rezitierten zwischen den Sätzen der Sinfonie einzelne Einträge, mit denen das polnische Mädchen Rutka Laskier um 1943 die Verfolgung der Juden und das Leben im Ghetto Kamionka festhielt.
Wer diese Unterbrechungen des sinfonischen Werks skeptisch erwartete, sah sich schon zu Beginn des zweiten Satzes eines Besseren belehrt. Ungemein eindrucksvoll und emotional verdichtet teilten sich die Botschaften von Text und Musik den Zuhörenden mit. Der Schriftsteller und Übersetzer Wolfgang Schiffer hatte das Orchester auf die Tagebücher hingewiesen und auch selbst für die Auszüge gesorgt. Eine kurze Passage, die unmittelbar aus dem Ghetto berichtet, ließ Dirigent Hubert Buchberger attacca in den vierten Satz der Sinfonie übergehen, wodurch sich die Wirkung noch einmal steigerte.
Als Schirmherr des Konzerts begrüßte der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau das Publikum. Er erinnerte an die Reichsprogramnacht und würdigte das Engagement der Musikerinnen und Musiker für das Gedenken. Hubert Buchberger führte in einem kurzen Vortrag in die Situation Mahlers in Wien und in das politische Wechselspiel der Zeit ein. Konzentriert folgte das Publikum seinen Worten.
Noch drei Tage vor dem Konzert hatte der Vorverkauf gerade einmal sechzig verkaufte Karten gemeldet. Doch als das Gedenkkonzert begann, platzte das Orchesterzentrum aus allen Nähten. Viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde waren gekommen, und der Blick ins Publikum führte ein breites Spektrum der Bevölkerung vor Augen. Die Interpretation des Landesjugendorchesters hinterließ einen so starken Eindruck, dass das Publikum nicht nur lange applaudierte, sondern auch sehr lange keine Anstalten machte, das Orchesterzentrum zu verlassen. Im Saal und im Foyer diskutierten die Hörer in kleinen Gruppen.
Für die Qualität der Interpretation hatten auch diesmal unter den Dozenten Musiker aus dem WDR Sinfonieorchester gesorgt. Ein weiteres Mal erwies sich damit die Patenschaft “Tutti pro” zwischen WDR Sinfonieorchester und Landesjugendorchester NRW als Segen.
Das Landesjugendorchester NRW steht in der Trägerschaft von Verein zur Förderung von Landesjugendensembles NRW und Landesmusikrat NRW. Es ist ein Förderprojekt des Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW.
(Agnes Rottland und Robert v. Zahn)
Foto: Das Landesjugendorchester NRW am 9. November 2013 im Orchesterzentrum Dortmund. Foto: Johannes Schwerdt.