Mit dem Day of Song hat Ruhr2010 eines ihrer größten Projekte in der Schalke-Arena vorgestellt: Eine voll besetzte Arena besang am 5. Juni die europäische Kulturhauptstadt. Als größter Mitgliedsverband des Landesmusikrats unterstützte der Chorverband NRW das Projekt. Michael Bender, Mitarbeiter der LMR-Geschäftsstelle, hat das Großereignis hautnah miterlebt.
Ich muss gestehen, ich fuhr mit gemischten Erwartungen nach Gelsenkirchen, um dort letzten Samstag in einer Masse von geschätzten 54.000 singenden Menschen aufzugehen. Kann man da überhaupt mehr singen als nur „O-Heee-Ohe-oheohe“? Ist das technisch überhaupt zum Klingen zu bringen, bei den zu überwindenden Entfernungen? Würden die vielen Sängerinnen und Sänger auf den Rängen in der Lage sein, ad hoc ihren eigenen Gesang mit einzubringen? Und – ganz persönlich – würde ich es vor meinem musikalischen Gewissen verantworten können, für mich so „heilige“ Werke wie den Schlusschor aus Beethovens IX. Symphonie unter diesen Bedingungen mitzusingen?
Kurze Antwort auf alle Fragen, und noch ganz viele andere: Alles wurde gut – und wie! Die Organisation war hervorragend, die Vorbereitung mit Songbook, Programmgestaltung, vorbereitender Probe durch Volker Buchloh, eigens geschriebenen Arrangements (u. a. von Michael Schmoll), Catering, Sängerbetreung im Innenraum und … und … und … war von einer gelassenen Professionalität geprägt, die weltweit ihresgleichen suchte.
Auch Hochkarätiges war zu hören. Gewohnt souverän und klanglich eindrucksvoll der Voice-Akrobat Bobby McFerrin, große Partystimmung verströmend die Wise Guys, etwas angestrengt dagegen insgesamt fünf Gesangssolisten, u.a. der Opernhäuser des Reviers, wobei man das bei Beethovens Neunter eigentlich nicht anders kennt, so schwer ist diese Partie. Mit einer bewundernswerten Noblesse und Leichtigkeit führte GMD Steven Sloane sowohl mit dem Baton durch die musikalischen Beiträge, als auch als Conferencier durch das Programm. Er scheute sich auch nicht, die fußballerische Farbenlehre des Reviers in die Veranstaltung miteinzubeziehen, als er den Kanon „Heho, spann den Wagen an“ mal von Schalke-Fans, mal von BVB-Anhängern und dann von den Freunden des Vfl Bochum singen ließ. Überhaupt, Herr Sloane hätte ohne weiteres auch den Part der Fernsehmoderatorin Catherine Vogel mit übernehmen können.
Am meisten beeindruckte mich die kluge Programmauswahl der mitzusingenden Lieder. Alte Chorklassiker wie Verdis Zigeuner- und Gefangenchor, wie Händels Hallelujah oder die Habanera aus Carmen (Wahnsinn: Die Einwürfe „Prends garde à toi!“ mit 54.000!) fehlten ebenso wenig wie gefühlvolle Bearbeitungen lieb gewordener Volkslieder oder eine wunderbare Fassung von „Let it Be“ mit Bobby McFerrin, den exzellent agierenden Bochumer Symphonikern und der ganzen singenden Arena. Hier wurde ein sehr guter Mittelweg zwischen musikalischem Anspruch – immerhin waren ja mindestens 52.000 der Anwesenden ausübende Musikerinnen und Musiker – und technischer Machbarkeit gefunden. Man musste schon sehr aufpassen, wollte man gemeinsam mit allen anderen am Schlussakkord der Neunten ankommen (Sloane wünschte vorher „Good Luck!“), aber es gelang!
Lokalkolorit an zwei Stellen im Programm: Am Anfang „Glück auf, der Steiger kommt!“, am Ende Grönemeyers neue Ruhr-Hymne. Wenn Sie mich fragen: Dieser neuen Ruhr-Hymne hätte es eigentlich nicht bedurft, die Rührung, die den Tausenden beim alten Steigerlied in den Augen stand, konnte das eigens für Ruhr 2010 geschriebene „Komm zur Ruhr“ nicht erzeugen.
Am Ende ein wunderbarer Ausklang, „Ein schöner Tag“ zur Melodie von „Amazing Grace“ mit allen Beteiligten, die in eine laue Nacht entlassen wurden. Beim Schalke-üblichen Stau bei der Parkplatzausfahrt wurde dann aber noch an allen Ecken des weitläufigen Geländes gesungen und musiziert.
Einfach so, weil das Fest noch nicht zu Ende sein sollte….
(Michael Bender)
Foto: !SING - Day OF SONG, kurz vor Konzertbeginn am 05.06.10 auf Schalke in Gelsenkirchen.
Foto: RUHR.2010 / Manfred Vollmer