Die Baǧlama ist das zentrale Instrument nicht nur türkischer Einwanderer, sondern auch weiterer Kulturen in NRW. Während mehr und mehr öffentliche Musikschulen die Baǧlama in ihre Angebote aufnehmen, tun sich die Musikhochschulen noch schwer mit dem Einrichtung entsprechender Studiengänge. Vom 7. bis zum 9. November tagten Musiker, Musikpädagogen, Kulturfunktionäre und Instrumentenfachleute in der Landesmusikakademie NRW und zeigten Wege auf, wie die Baǧlama noch stärker in das nordrhein-westfälische Musikleben und in die Musikpädagogik einziehen kann. Insbesondere tut es not, die vielen künstlerisch hervorragenden Baǧlama-Lehrer in NRW auf die Arbeit an öffentlichen Musikschulen vorzubereiten und mit Formen des kooperativen Lernens vertraut zu machen, so eines der Kongressergebnisse. Die Landesmusikakademie NRW bereitet einen Zertifikatslehrgang vor und wird ihn voraussichtlich ab Herbst 2015 anbieten.
Zu dem Kongress hatten sich Landesmusikakademie, die Hochschule für Musik und Tanz Köln, der Landesmusikrat NRW, der Landesverband der Musikschulen in NRW und das NRW-Kultursekretariat zusammengeschlossen. Seit Jahren engagieren sich diese Einrichtungen und ihre Mitglieder für den Einzug der Baǧlama in die öffentlichen Bildungsangebote und für einen respektvollen Umgang der europäischen und der türkischen Musikkulturen miteinander – Zeit, eine Bilanz zu ziehen und weitere Entwicklungen zu konzipieren und einzufordern.
Herausragend war die Fülle der Workshops und Panels. Auf bis zu neun Schauplätzen gleichzeitig beleuchteten sie die Situationen und Probleme der Baǧlama im Musikleben. Viele Tagungsteilnehmer hielten zum ersten Mal eine Baǧlama in der Hand und lernten die filigrane Saitenführung und -stimmung kennen. Alpay Bozkurt stellte das Instrument in seinen Bauarten und in seinen Spielweisen in einem Workshop vor. Kemal Dinҫ lehrte Makam-Skalen, Fingersätze und Handpositionen im Baǧlama-Spiel, Imam Yıldırım das Transponieren und das Stimmen der Baǧlama. Besonderes Augenmerk des Kongresses galt dem Zusammenspiel von Baǧlama und europäischen Instrumenten, dabei zumal dem Arrangieren von Werken und Volksmelodien für heterogene Ensembles.
So bildeten Tuǧrul Türken und Rainer Buschmann aus Workshopteilnehmern Weltmusikbands und erarbeiteten Formen des Zusammenspiels zwischen Baǧlama und Instrumenten der europäischen Kunstmusik. Koray Berat Sarı leitete Musiker dazu an, eine anatolische Melodie auf einem westlichen Instrument wiederzugeben. Yusuf Caners Workshop sprach Gitarristen an und vermittelte ihnen Grundlagen des Spiels auf der Langhalslaute – ein Workshop, der von einem zeitgleich an der Akademie stattfindenden Lehrgang zur Leitung von Zupforchestern besucht wurde. Kemal Dinҫ erarbeitete mit seinen Workshopteilnehmern Wege vom Improvisieren ins Arrangieren für heterogene Ensembles.
Enver Yalcin Özdiker stellte typische türkische Instrumente vor und zeigte Beispiele von Arrangements für westliche und türkische Instrumente. Zu den gelungenen zählten nach seiner Ansicht Werke für die Kurzhalslaute Ud oder die Kastenhalslaute Kemenҫe solo mit europäischem Ensemble. Ruddi Sodemann schilderte seine Projekterfahrungen mit dem Hürther West-Ost-Diwan Ensemble und dem Projekt KommUnity.
Weitere Workshops gingen Fragen der Vermittlung nach, Koray Berat Sarı diskutierte in einem Workshop Formen des Baǧlama-Unterrichts mit Grundschulkindern, Nuray Ateş problematisierte in ihrem Workshop die interkulturelle Elternarbeit. Und Melisa Elgün beschäftigte sich mit interkultureller Musikgeragogik unter Berücksichtigung der Baǧlama. Die Gleichzeitigkeit und örtliche Verteilung der Workshops erzeugte einen Klangkosmos von Saitenklängen, der das Hauptgebäude der Akademie erfüllte und das Gehen durch die Flure zum Wandelkonzert machte.
In der pädagogischen Reichweite der Baǧlama spielen die schriftlichen Unterrichtsschulen eine besondere Rolle. In der Türkei ist das Erlernen dieses Instruments längst nicht mehr Gegenstand der mündlichen Überlieferung und des Vormachens und Nachmachens. Viele Baǧlama-Schulen liegen vor, doch für den Einsatz in NRW sind sie nur begrenzt zu verwenden. Deshalb diskutierte ein „Forum Lehrwerke der Baǧlama“ Schulwerke und Schulansätze, die Imam Yıldırım (für „Jedem Kind ein Instrument“ [JeKi]), Yusuf Caner, Kemal Dinç und zudem Ismet Polat und Yücel Gök in Vertretung von Ulaş Hazar vorstellten. Martin Greve moderierte die lebhafte Diskussion, die Argumente zu den Fragen austauschten, welche Spielweisen kindgerecht sind und welche Makams für Kinder geeignet erscheinen, und darum rang, ob man vorzugsweise türkisches Kulturgut spielen oder etwa auf Paganini-Bearbeitungen hinarbeiten solle.
Auch WDR3 war zugegen und produzierte im Rahmen des Kongresses eine Folge seines „Kulturpolitischen Forums WDR3“. Werner Wittersheim (WDR3) moderierte ein Gespräch von Nuray Ateş (IFAK e.V. Bochum), Arif Ünal (Integrationsausschuss Landtag NRW), Christian Höppner (Deutscher Musikrat), Louwrens Langevoort (Kölner Philharmonie) und Hans Neuhoff (Hochschule für Musik und Tanz Köln) und fragte, ob die türkische Musik der Baǧlama und auch die anderer Kulturen nun erfolgreich im öffentlichen Musikleben von NRW etabliert sei. Das konnten die Gesprächsteilnehmer so nicht bejahen, entwickelten aber Perspektiven.
Ein „Hochschulforum” machte klar, dass die Zugangsvoraussetzungen zum Hochschulstudium in jedem Fall hoch bleiben werden. Nevzat Ҫiftҫi hat bei der Einführung des Berliner UdK-Studiengangs erfahren müssen, dass sich türkische Musikschulen und Kulturvereine gegenüber der Anforderung bedeckt halten, Schüler auf die Aufnahmeprüfungen von Hochschulen vorzubereiten. Hans Neuhoff, Moderator des Forums, sah hier eine neue Aufgabe für die kommunalen Musikschulen. Viele bieten Studienvorbereitende Ausbildungen (SVA) an, sie werden sich auch auf ein Baǧlama-Studium ausrichten müssen. Dass solche Studiengänge funktionieren können, zeigte das Hochschulforum durch Praxisberichte von Kemal Dinҫ über die World Music Academy am CODARTS in Rotterdam, von Johannes Kieffer über die Orientalische Musikakademie und den neuen Studiengang an der Musikhochschule Mannheim sowie von Martin Greve über das Orient-Institut Istanbul und die Ausbildungsmöglichkeiten an den Istanbuler Hochschulen.
Doch man kann die Struktur vieler möglicher Vorbilder nicht einfach nach NRW übernehmen – das machte der Hürther Musikschulleiter Ruddi Sodemann in einem Referat zur musikpädagogischen Verortung der Baǧlama klar: Das Instrument wurde ursprünglich meist in einem Meister-Schüler-Verhältnis gelehrt, oft damit in Unterrichtsformen des individuell gesteuerten Lernens, wie sie auch in NRW geläufig sind. Hinzu kommen muss aber eine Dimension des gemeinsamen Lernens, denn an öffentlichen Musikschulen in Deutschland wird auch Gruppenunterricht an der Baǧlama angeboten, zumal im Programm „Jedem Kind ein Instrument”.
Dass die Einbeziehung der Elternhäuser kein Hexenwerk ist, erläuterte Nuray Ateş in einem Referat über die Elternarbeit zwischen den Kulturen. Ausgangspunkt muss das Wissen darum sein, dass sich die Gesellschaftsbilder zwischen Deutschen und Türken unterscheiden. In der Elternarbeit erlebte man andere Rollenzuweisungen an die Kinder durch die Eltern, die wiederum von den Rollen beeinflusst sind, in denen sie seitens ihrer Mütter und Väter standen. Aus europäischer Perspektive erlebt man oft Erziehungshaltungen, die man als falsch empfindet, die dort aber als einziges Kapital zur Verfügung stehen.
Welche musikalischen Inhalte Ensembles mit Baǧlama bieten können, das zeigten die Konzerte des Heeker Kongresses eindrucksvoll. Kemal Dinҫ, Koray Berat Sarı und Eren Aksahin boten in einem feinfühligen Zusammenspiel anatolische, aserbaidschanische und andere Melodien an drei Baǧlamas, wobei Kemal Dinҫ die Singstimme übernahm. Das Kongresspublikum hörte gebannt, wie sich die oft kantilenenhaften Linien der Lauten im Konzertsaal der Akademie verschränkten.
Elif Schloshauer-Özdiker an der Violine, Alpay Bozkurt an der Baǧlama sowie Enver Yalcin Özdiker an der Gitarre stellten ebenfalls spielend und abwechselnd singend Melodien des Kulturraums in einer lyrischen Auswahl vor. Koray Berat Sarı, Mateusz Gaik und Mark Samama Jensen kombinierten die Baǧlama mit zwei Gitarren. Die unterschiedlichen Klänge ihrer Saiten fügten sich nicht eben homogen zusammen, immer jedoch zu einem interessanten Geflecht, aus dem sich die volkstümlichen Melodien herausschälten. Eine Musik entstand, die alle in der nordrhein-westfälischen Gesellschaft ansprechen kann. Die Etablierung der Baǧlama im öffentlichen Musikleben wird noch zu musikalischen Schätzen führen.
Ein ausführlicher Bericht wird unten zum Download angeboten.
Robert v. Zahn
Fotos: Workshop von Kemal Dinç in der Landesmusikakademie NRW am 9. November 2014; Hochschulforum mit Kemal Dinç, Martin Greve, Johannes Kieffer, Hans Neuhoff und Nevzat Ciftçi am 8. November; Nuray Ateş referiert am 9. November über interkulturelle Elternarbeit; Kongresseröffnung durch Akademieleiterin Antje Valentin am 7. November. Fotos: LMR NRW.