Der Landesmusikrat und Soundtrack_Cologne 7.9 veranstalteten am 27. November 2010 im Kölnischen Kunstverein eine Podiumsdiskussion zur Musik im Kinderhörspiel. Ute Wegmann, Produzentin („Die besten Beerdigungen dieser Welt“), Henrik Albrecht, Komponist („Peter Pan“), Angeli Backhausen, Hörspielregisseurin (Deutscher Hörbuchpreis 2010 „Bestes Kinderhörbuch“), und die Soziologin Susanne Sackl loteten im Gespräch Möglichkeiten, Bedingungen und Kriterien von qualitätsvoller musikalischer Arbeit für Kinder aus.
Moderatorin Ute Wegmann stellte Angeli Backhausen vor, die jüngst mit dem Hörspiel "Krabat" einen großen Erfolg erzielte, und den Hörspielkomponisten Henrik Albrecht, der "Die Säulen der Erde", "Pinocchio" und "Peter Pan" als Vertreter einer neuen Gattung des Orchesterhörspiels komponierte: Die Musik erzählt die Geschichte mit, dafür ist die Zahl der Sprecher reduziert. Die vierte in der Runde, Susanne Sackl, promoviert am Institut für empirische Methodik in Graz. Ihr einführender Vortrag über musikalische Sozialisation beschäftigte sich mit dem Hineinwachsen des Menschen in eine Gesellschaft und Kultur.
Ute Wegmann fragte nach der Vielfalt der Einflüsse heute. Ist es heute noch vorstellbar, dass ein Hörspiel einen solchen Effekt hat wie früher „Die drei Fragezeichen“? Angeli Backhausen fand es wünschenswert, aber kaum realisierbar. Henrik Albrecht hat versucht, nicht nur gute Hörspiele musikalisch zu erstellen, sondern diese in Zusammenarbeit mit den Redakteuren auch besonders wirkungsvoll im Programmschema zu platzieren. Für ihn sind diese Hörspiele Trojanische Pferde. Sie fesseln durch das Geschehen und schulen dabei das Hören von Musik. Wichtig waren für ihn begleitende Live-Aufführungen, bei denen man die Wirkung auf die Kinder direkt erleben konnte. Angeli Backhausen wollte zudem in die Wirkung ihres „Krabat“ auch die Erwachsenen einbeziehen.
Ist ein gutes Hörspiel entwicklungspsychologisch auch bildend? Henrik Albrecht vertrat die These von der Flaschenpost. Was im frühen Lebensalter zur Sozialisation beigetragen hat, geht im späteren Alter auf und prägt den bewusst gelebten Geschmack. Deshalb versucht Albrecht, sehr viele musikalischen Bezüge in seine Kompositionen aufzubauen. Man müsse daher in der Tat gar nicht so kindgerecht sein, sondern auch auf Erwachsene gemünzt denken.
Komponiert man denn für ein Kinderhörspiel anders als für ein Erwachsenenhörspiel? Oder für ab sechs anders als für ab zwölf Jahre? Henrik Albrecht unterschied Erwachsenenhörspiele mit straffer Musik und einem komponierten dramaturgischen Faden von Kunsthörspielen, die weniger unterhalten sollen. Letztere lassen dem Komponisten mehr Verwirklichungsmöglichkeiten, fallen aber auch oft in die Gattung, die er spöttisch „Kulturrauschen“ benannte. Das dürfe bei Kindern keinesfalls geschehen, insofern ähnele das Kinderhörspiel der ersten Hörspielkategorie. Eine Brechung des Stoffs durch die Musik sei unangebracht, der Komponist müsse ernsthaft hinter dem Plot stehen.
Angeli Backhausen braucht den Komponisten als Partner, um eine Stimmung und Grundfarbe ins Hörspiel zu bringen. Bei ihrer Arbeit hat sie oft schon bestehende Musiken im Ohr, auch dann, wenn ein Schauspieler das Gewünschte nicht ausstrahlen kann. Eine Szenenbeleuchtung durch die Musik sei wichtig, auch das Setzen eines durchgehenden Charakters.
Ute Wegmann hinterfragte "Krabat" als eine düstere Geschichte, die Vorsicht auf anderen medialen Ebenen erfordere. Wenn es eine Vorgabe gibt, dass das Hörspiel für Kinder ab sechs gedacht ist, kann man dann die Kinder mit der Musik überfordern? Angeli Backhausen sah hier eine Abhängigkeit der Musik vom Stoff und von der Altersgruppe. Letztlich stehe die sorgfältige Beleuchtung durch die Musik vorne an, es habe wenig Sinn, Effekte der Handlung durch Musik abzumildern. Der Komponist von „Krabat“, Reiner Quade, fällte für den Schluss der Geschichte und den Tod des Meisters die Entscheidung, einen akustischen Herzschlag zu unterlegen, um den Tod zu illustrieren. Nach einem Zucken eines Blitzes sollte Schweigen herrschen, doch so fehlte jeglicher versöhnliche Charakter im Schluss. Den also komponierte Quade hinzu.
Henrik Albrecht legte Wert darauf, dass Klänge für Kinder nachvollziehbar sind. Syntheziser-„Drohnen“ seien für Kinder nicht geeignet. Auch eine E-Gitarre sei schwierig, weil sie so viele Farben annehmen könne. Angeli Backhausen warnte die Hörspielmacher davor, Hörgewohnheiten zu schnell anzunehmen. Anfänglich eingesetzte Musik-„Dummies“ können bei der Produktion eine verführerische Gewöhnung verursachen.
Ute Wegmann fragte, ob Qualität in der Hörspielmusik wirklich kosten müsse. Albrecht bejahte, zunächst einmal sei Herzblut wichtig. Die Arbeitszeit könne sowieso nie adäquat bezahlt werden. Er warnte vor Samples. Samples seien nur scheinbar billiger als live aufnehmende Musiker. Der Komponist könne mit aufgenommenen echten Instrumenten schneller ein gutes Ergebnis abliefern als mit Samples. Das rechtfertige auch die Kosten von vier Musikern im Studio für einen Tag.
Ein Besucher fand die Thesen des Panels zu kulturmissionarisch und regte an, die Kinder musikalisch dort abzuholen, wo der Kinderkanal sie hinbringe. Ein anderer wies darauf hin, wie offen Kinder sind und dass man sie eigentlich nicht an bestimmter ästhetischer Stelle abholen muss. Auch Henrik Albrecht erkannte keine feste Position zum Abholen. Wäre das Hörspiel "Krabat" auch ohne Musik vorstellbar? Für Angeli Backhausen nicht. Als Hörspiel könne sie sich das nicht vorstellen. Als gestaltendes Element gehöre die Musik einfach dazu.
rvz .
Musik im Hörspiel: Die geheime Macht. Eine Veranstaltung des Landesmusikrats NRW in Kooperation mit SoundTrack_Cologne, präsentiert von FILM-DIENST, gefördert vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW.
Foto: Ute Wegmann, Angeli Backhausen, Susanne Sackl und Henrik Albrecht im Kunstverein, 27.11.2010. Foto LMR NRW.