Ein lange geplanter Auftritt des Perkussionsensembles SPLASH in Biel in der Schweiz (genauer: Im Kanton Bern, das war am Ende noch wichtig) sorgte beim so zahlreich wie erlaubt erschienenen Publikum im dortigen Konzerthaus Nebia für Begeisterungsstürme.
Motto des einstündigen Konzerts am 17. Oktober 2020 war "Une soirée chez B". Die Schweizer Komponistin Stephanie Henssler hatte gemeinsam mit ihrer Schwester, der Videokünstlerin Laura Henssler, eine Art Collage geschaffen, die von SPLASH unter der Leitung von Stephan Froleyks uraufgeführt wurde. Unter dem Titel "Zu Tisch" zeigte das Video die Szene einer fein gedeckten Tafel, dazu die Hände der Gäste und die Speisen, aber alles sehr steif, sehr gezwungen im Stil des Biedermeiers. Dazu kurze Fetzen dunkler Aktion in der Küche, witzige Tricksequenzen zu Nahrungsmitteln: Brot, Nudeln, Eier.
Die Tischmusik lieferte Beethoven mit der "Waldsteinsonate", vom Band, unterstützt von sieben Musiker*innen von SPLASH um den Marimbaspieler Maximilian Fellermann. Henssler spielte mit der Interaktion der Klaviermusik und der Perkussionsklänge, mit dem gezeigten Geschirr im Bild und zur Klangerzeugung genutzten Küchenutensilien bei SPLASH im Graben des Theaters. Heraus kam eine gelungene und immer spannende Gesamtperformance, die in eindrucksvoller Weise die Balance hielt zwischen Bild, Perkussion und .... Beethoven.
Vorangegangen waren Wochen der Vorbereitung, die davon geprägt waren, dass niemand wirklich wusste, ob die Reise stattfinden würde, stattfinden dürfe. Die letzte Bestätigung konnte allen Reisenden erst am frühen Morgen der Abreise gegeben werden: Jawohl, NRW ist vom Schweizer Bundesamt für Gesundheit nicht zum Risikogebiet erklärt worden (HH und Berlin zwei Tage zuvor allerdings schon), und nein, auch der Kanton Bern ist vom deutschen Auswärtigen Amt nicht als Risikogebiet erfasst.
Am nächsten Morgen in der Herberge, nach ersten Arbeiten am Abend zuvor im Konzerthaus, dann der Schock: Die ARD-App meldet, dass die ganze Schweiz nun Corona-Risikogebiet sei. Konsequenz wäre, dass SPLASH wohl auftreten könne, aber nach der Rückreise Quarantäne halten müsse. Dann aber Erleichterung: Das war eine Nachrichtenpanne. FAST die ganze Schweiz ist gefährdet, nicht jedoch der Kanton Bern. Also mit Glück unter dem Corona-Radar durch!
Doch zurück zum Konzert: Es folgte "Musique de Tables" von Thierry de Meij, die von Mitgliedern des Ensembles vor Jahren zwar schon aufgeführt worden war, nun für drei junge Spielerinnen (Milea Henning, Luise Oltmanns und Luca Schall) aber erstmals auf dem Programm stand. Das Werk erfordert gar keinen Einsatz von Instrumenten. Drei Händepaare, drei Tischplatten, das ist alles. Umso präziser muss alles ablaufen, umso souveräner muss das - im hellen Bühnenlicht - präsentiert werden. Die jungen Spielerinnen absolvierten ihre Premiere mit Bravour. Es wurde geklopft, gewischt, geklatscht und auf Holz getrommelt, mit viel jungem Charme und mit Humor, was das Publikum jubelnd würdigte.
Das letzte Werk des Abends war "Alle Menschen werden Brüder" von Stephan Froleyks. Auch hier geht es natürlich um den Großmeister des Klaviers, den Verfasser des "Neuen Testaments" der Pianisten, den Komponisten von 32 Klaviersonaten von Ewigkeitswert. Eines dieser Meisterwerke, die "Hammerklaviersonate" op. 106 wurde nun sehr wörtlich genommen. Auf der Bühne aufgebaut: Drei normale Klaviere, ihrer Klaviaturen, Deckel und Mechaniken beraubt und wie eine überdimensionale Zither flach vor den Interpreten aufgebockt, ein alter Flügel, noch spielbar, sowie der Tisch eines DJs mit der notwendigen Technik.
Die Musikerinnen und Musiker von Splash rund um den Kölner DJ Jakob Lebsanft erforschten in den dreißig Minuten von "Alle Menschen werden Brüder" nun sehr eindrucksvoll, was man auf Klavieren so anstellen kann (ja, auch der Hammer – aus Eisen und vom Baumarkt – kam hier zum Einsatz), wie man op. 106 klanglich verzerren und zerfetzen kann, wie Fragmente der Diabelli-Variationen auf einem ramponierten und mit Schrauben, Dübeln und anderen Metallobjekten "präparierten" Flügel klingen. Und wenn die Klangflächen des DJs dann statisch werden, dann vertreibt man sich als Perkussionist die Zeit damit, kleine Kieselsteine auf die Saiten der benachbarten Klaviere zu schmeißen. Auch das ergibt Töne. Emotionaler Höhepunkt des Stücks war dann für viele die Stelle, bei der vier halbierte Ziegelsteine aus Schulterhöhe fallend in den Flügel krachten. Alptraum oder Wunschtraum manches Pianisten?
Eine weitere Story der Reise betrifft den Flügel selbst: Bei der Uraufführung des Werks in Kleve stand ein alter Bechstein zur Verfügung. Dieses Instrument war für Biel vorgesehen, konnte jedoch nicht mitgenommen werden, da die Bestimmungen des Washingtoner Abkommens einen Grenzübertritt für Instrumente mit Elfenbeintasten nicht zuließen. Die notwendigen Papiere zum Altersnachweis des in den 1920er Jahren gebauten Flügels waren nicht zu erbringen, der Bechstein musste am Niederrhein bleiben. Nach langem Hin und Her konnte ein Verleiher in Lugano gefunden werden, der ein altes Instrument nach Biel brachte. Aber hatte dieser wirklich verstanden, was dem armen Instrument bevorstand?
Das löste sich nach dem Konzert auf. Der Verleiher war anwesend, im Publikum und begeistert! So konnte der alte Flügel, wohl nach dem bedeutendsten (und letzten) Konzert seines langen Lebens, quasi hinkend und mit Rückenschmerzen, die Rückreise über den Gotthard antreten. Die Jugendlichen von SPLASH und alle anderen Beteiligten hingegen kamen heil und nicht infiziert zurück nach Hause.
(Michael Bender)
Foto 1: Milea Henning, Luise Oltmanns, Luca Schall
Foto 3: Jakob Lebsanft, Miea Henning, Maximilian Fellermann, Luca Schall
Foto 4: Malte Höweler, Maximilian Fellermann, Luca Schall
Fotos: LMR NRW