Als Joachim Paul, Fraktionschef der Piraten im nordrhein-westfälischen Landtag, erneut reklamierte, dass die Piraten die Partei seien, die die unbekannten Künstlerinnen und Künstler vertreten würden und dass die GEMA für ihn ein Club der 10.000 sei, verlor Julia Neigel die Geduld. Sie erkannte den Piraten diese Vertretungsrolle ab und verwahrte sich entschieden gegenüber diesem GEMA-Bild. Paul versuchte ihr ins Wort zu fallen, konnte sich gegen die dezibelstarke Sängerin aber nicht durchsetzen. Mit viel Mühe erdete Moderator Matthias Hornschuh die Diskussion auf einer sachlichen Ebene, indem er versuchte, das Prinzip der GEMA-Mitgliedschaften zu erläutern. Panelteilnehmer Helmut Zerlett verfolgte den Schlagabtausch mit sichtlichem Vergnügen.
Durchaus lebhaft verliefen die ersten drei öffentlichen Diskussionen des Arbeitskreises „Geistiges Eigentum: engage“ in der Fachhochschule Köln. Der Arbeitskreis von Prof. Dr. Rolf Schwartmann und Prof. Dr. Bernd Eckardt will eine Plattform für den sachlichen Diskurs zum Geistigen Eigentum bieten, doch dort, wo Kreative so existenziell bedroht werden, ist die Sachlichkeit nicht immer leicht zu halten.
Prof. Dr. Rolf Schwartmann konnte 120 Gäste in der Fachhochschule Köln begrüßen und sogleich ankündigen, dass diese Diskussionen in eine weitere Gesprächsrunde mit Vertretern der Politik am 20. März in Berlin führen würden. Georg Quander, Kulturdezernent der Stadt Köln, hieß die Runden im Namen einer Stadt willkommen, in der die Kultur und Kreativwirtschaft eine immer größere Rolle spielt. Rund 60 % aller Künstlerinnen und Künstler aus NRW leben in Köln und sie erzielen 48 % des Umsatzes der Branche. 16.000 Steuerpflichtige und Unternehmen sind aktiv, die Köln zumeist als Musikmetropole empfinden, die aber schwächele.
Helmut Zerlett, Musiker, Julia Neigel, Stellvertretende Aufsichtsrätin der GEMA, und Matthias Hornschuh, Komponist, Verband Mediamusic und Stellvertretender Vorsitzender der AG Musik in Beruf, Medien und Wirtschaft des Landesmusikrats NRW, bildeten das erste Panel. Alle drei verfolgen mehr oder weniger erfolgreich ihre Geschäftsmodelle, sind alle drei nicht nur Künstler, sondern auch Unternehmer, und sie sind abhängig vom GEMA-Einkommen. Die politischen Initiativen gegen die GEMA und die Netzattacken gefährden ihre Existenzgrundlage als Kreative.
Gleichzeitig geraten die freien Interpreten durch den Rückgang der GVL-Ausschüttungen unter Druck. Die von der EU erzwungene Strukturänderung der GVL reduziert die Dezemberausschüttung auf 10 bis 20 %, was zu einem Empörungsschrei quer durch die Musikerschaft führte, so Julia Neigel. Zumal diese alle alten Rechte-Daten wieder neu in das System einspeisen soll, die zum Teil gar nicht mehr handhabbar sind.
Zerlett, Hornschuh und Neigel sind sich einig, dass das Urheberrecht nicht reformiert werden muss, sondern das Telemediengesetz, das unhaltbare Zustände schaffe. § 32 des UHG sagt, dass die Urheber einen Anspruch auf angemessene Beteiligung an den Erlösen haben, so Hornschuh, doch Neigel weist darauf hin, dass sich da Urhebergesetz und Telemediengesetz entgegen stehen.
Eigentlich sollte GEMA-Kritiker Bruno Kramm (Danse Macabre) mit in der Runde sitzen. Er ist verhindert und für ihn bereichert nun etwas verspätet Joachim Paul die Diskussion. Es kommt zum Streit über die Rolle der GEMA und der der Piraten. In mancher Hinsicht kommen sich die Parteien auch näher. Paul bekennt, dass er in Google keinen Verbündeten der Piraten sieht. Niemand könne ein Interesse daran haben, dass die Produzenten von künstlerischen Gütern letztlich leer ausgingen. Hornschuh sieht die Musikdistribution im Netz in derselben Vergütungspflicht wie alle anderen Marktsektoren.
Paul ist selbst Musiker und sieht sich hier ganz an der Seite des Panels. Einig sind sie sich auch in der Beurteilung der Entwicklung, dass Produktionsgesellschaften ihre Komponisten immer häufiger zwingen, in deren eigene Verlage zu gehen, die dann 40 % der GEMA-Erlöse kassieren. Aus dem Publikum verweist Prof. Dr. Gerhard Pfennig von der Initiative Urheberrecht dabei auch auf die Verwertungsgesellschaften der öffentlich-rechtlichen Sender, die die Künstler in ihre Verlage drängen. Eine Änderung des Vertragsrechts hält er für notwendiger als beispielsweise eine Änderung des Telemediengesetzes.
Im 2. Panel diskutieren Berny Sagmeister (digitaler Vertrieb und Business, EMI Music), Jörg Koshorst (Valicon Entertainment, ein Label in Berlin mit Musikstudios), Gerrit Schumann (Vorstandsvorsitzender der Simfy AG, eines Streamingservices) und Iwona Husemann (Rechtsreferentin der Verbraucherzentrale NRW), moderiert von Oke Göttlich (CEO Finetunes). Es geht vor allem um die aktuellen Streamingmodelle, für die vor allem Sagmeister und Schumann stehen. Sie schaffen eine Qualität für die Benutzer, die den illegalen Angeboten überlegen ist. Der Nutzer folgt der Technologie, so bestätigt Iwona Husemann, die Musikindustrie müsse interessante Angebote für den Verbraucher schaffen. Der Preis stehe für die jungen Verbraucher immer noch im Vordergrund. Die illegalen Tauschbörsen seinen nicht nutzerfreundlich, trotzdem seien sie gang und gäbe. „Billig ist gut“, damit machen auch große Firmen Werbung.
Husemann hat vor allem mit illegalen Downloads und Abmahnungen zu tun. Die Verbraucherzentrale NRW schärft das Bewusstsein in Schulklassen für die legalen Angebote. Denn legale kostenlose und werbefinanzierte Smartphone-Angebote etwa seien unter Schülern kaum bekannt. Sagmeister erkennt diese Arbeit an, weist aber darauf hin, dass die Musikindustrie jährlich eine Brenner-Studie durchführt. Seit zwei Jahren stehe dort das Ergebnis im Raum, dass die Peer-to-peer-Plattformen nicht mehr das Hauptproblem seien, sondern das Streamripping. Das sei sogar legal, siehe YouTube. Da zeige sich, dass das Urheberrecht und Leistungsschutz nicht zeitadäquat sind.
Koshorst entwirft eine positive Perspektive. Nach dem Zusammenbruch der Umsätze vor einigen Jahren geht es langsam wieder aufwärts, auch für Valicon. Doch die kleineren Unternehmen haben keinen Backup-Katalog, von dem sie in Krisenzeiten zehren können, wie die Majors. Der Markt ist schwierig geworden. Noch 1999 war das Hauptprodukt eine Maxisingle zum Handelsabgabepreis von 8,90 Euro, heute ist es ein Download bei Itunes für 99 Ct. Koshorst sieht eine Tendenz bei den Majors, den Aufbau eines Künstlers auszugliedern. Sie bilden Teams, die kleine Künstlerproduktionen aufbauen und fertig anliefern. Der Major bringt die Verkaufszahlen dann von 20.000 auf 80.000. Man müsse aber aufpassen, dass darüber der Künstleraufbau nicht unter die Räder kommt.
Die Runde behandelt die neuen Geschäftsmodelle. Der Streamingbereich gewährt Anteile an den Subskriptions-Gebühren oder an den Werbeeinnahmen, eine moderne Form, an der alle partizipieren könnten. Schumann sieht nach wie vor einen Bedarf für klassische Verwertungsformen. Mancher möchte auch weiterhin einfach eine geliebte Platte aus dem Regal nehmen. Sagmeister rechnet auf Dauer auch in Deutschland mit einer Drittelverteilung zwischen physischem Produkt, Downloads und Streaming. In Ländern wie Schweden macht Streaming bereits über 50 % des Markts aus, in Frankreich 36 %, in Deutschland 5 bis 10 %.
Auf eine wichtige Entwicklung wartet der Markt dringend: Seit 2007 gibt es Verträge von EMI und anderen Labels mit YouTube, so Sagmeister, die die Kommerzialisierung von Masterrechten zum Gegenstand haben.. Diese Partner erhielten ungefähr die Hälfte der Werbeeinnahmen, nur im deutschsprachigen Raum nicht, weil es dort noch keine Einigung zwischen Youtube und GEMA über die urheberrechtlichen Nutzungsrechte gibt. Diese Einigung aber sei dringend erforderlich.
Wie wirken sich diese Entwicklung nun auf den rechtlichen Schutz von Musikwerken aus? Darüber diskutieren im 3. Panel Margarete Reske (LG Köln), Dr. Kerstin Bäcker (Rechtsanwältin), Stephan Grulert (Justiziar EMI) und Jörg Heidrich (Justiziar Heise Verlag), es moderierte Dr. Martin Kessen (OLG Köln). Margarete Reske stellte zunächst die erhebliche Zunahme von urheberrechtlichen Gerichtsverfahren in den letzten 10 Jahren fest, mit denen beim LG Köln mittlerweile zwei Kammern beschäftigt sind. Die geänderte Gesetzeslage seit dem sogenannten 2. Korb ist dabei bisher noch nicht in den Kammern angekommen.
Margerete Reske bezweifelte, dass die abmahnenden Rechteinhaber bei konsequenter Umsetzung der Kostendeckelung nach § 97a Abs. 2 UrhG überhaupt noch Anwälte finden würden, die Rechtsverletzungen nachverfolgen, da durch diese Kostendeckelung kaum kostendeckend gearbeitet werden könne. Sowohl Kerstin Bäcker als auch Stephan Grulert mahnten eine Einigung in der Auseinandersetzung GEMA / Google–YouTube an, wobei Grulert nachdrücklich die Einhaltung des Verfahrens, das durch das UrhWahrnG vorgegeben ist, durch Google forderte. Bisher wurde durch Google kein Schiedsstellenverfahren zur Überprüfung der durch die GEMA geforderten Lizenzgebühren angestrengt.
Grulert schlug die Einführung eines Warnhinweismodells vor, mit dem die Zugangsprovider ihre Kunden über festgestellte Rechtsverletzungen zunächst informieren, um dann nach mehrfach festgestellten Rechtsverstößen eine Abmahnung zu veranlassen. Jörg Heidrich hingegen forderte Grulert auf, Rechtsverletzungen nicht durch Abmahnungen zu ahnden, sondern die Verletzer zunächst zu warnen. Hierdurch könnten die Rechteinhaber die negative öffentliche Wahrnehmung nach den vermehrten Abmahnungen verändern, ohne auf gesetzliche Regelungen angewiesen zu sein. Grulert wies das Ansinnen zurück, da aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit ohne Beteiligung der Zugangsprovider ein effektiver Rechtsschutz nicht darstellbar sei.
Das Panel war in seinen Ansätzen insoweit weitgehend konsensual, als der rechtliche Schutz von urheberrechtlich geschützten Werken und Leistungen in der Globalisierung außerordentlich schwer herzustellen ist. Insbesondere waren sich die Panelisten darin einig, dass Peer-to-Peer-Systeme nicht mehr den Schwerpunkt der rechtsverletzenden Handlungen im Internet darstellen, sondern eine weit intensivere Rechtsverletzung durch sog. One-Click- oder Filehoster, wie das gerade neu gestartete MEGA und andere, stattfindet. Gegen diese nutzen nationale Alleingänge wenig, ganz gleich wie fundiert sie juristisch erfolgen.
enGAGE! hat seinen Sitz an der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht der Fachhochschule Köln und steht in einer Kooperation mit dem Landesmusikrat NRW.
Robert v. Zahn (1.+2. Panel), Stephan Benn (3. Panel)