Seit Jahresbeginn treibt der Landesverband der Musikschulen in NRW sein Projekt „MüzikNRW“ mit dem Ziel voran, türkische Musik stärker an nordrhein-westfälischen Musikschulen zu verankern. Projektleiter Ruddi Sodemann (Musikschule Hürth) führte zu Beginn der Fachtagung „Transkulturelle Netzwerke“ im Landtagsgebäude aus, dass die Teilhabe am kulturellen Leben eine Schlüsselfrage für die zukünftige Gesellschaft sei. „MüzikNRW“ geht deshalb in mehreren Teilveranstaltungen das ganze Jahr über Fragen nach möglichen Netzwerken und Partnern, nach der Zielgruppenansprache, nach der Elternarbeit und nach den musikalischpraktischen Erfordernissen nach.
Das Kennenlernen der türkischen Musik funktioniert, so die Prämisse des Projekts, am besten über gemeinsames Musizieren, nicht nur über das Zuhören. Dabei geht es auch um eine fachliche Vertiefung der Kenntnisse um die türkische Musikkultur bis hin zur Einführung in das tonliche System der Maqam.
Neben Angeboten an ca. fünf Prozent der öffentlichen Musikschulen in NRW findet Bağlama-Unterricht zumeist an türkischen, privat getragenen Musikschulen statt, damit separiert, ohne Verbindung zum allgemeinen Musikleben. Die Herausforderung der öffentlichen Musikschulen ist auch eine gesellschaftliche und politische. So braucht das Projekt ein politisches Umfeld, weshalb der Verband die Veranstaltung in das Landtagsgebäude legte.
Als Gastredner nahm Arif Ünal, Vorsitzender des Integrationsausschuss des Landtags, eine Einordnung des Projekts in die Integrationspolitik des Landes NRW vor. Die Landespolitik hat einiges dafür getan, dass man Migranten leichter und systematischer ansprechen kann. Am 25. Mai, dem Tag der Kommunalwahl in NRW, werden auch die Integrationsräte neu gewählt. Sie sind in Städten mit mehr als 5000 Ausländern Pflicht und haben ein Mitspracherecht auf kommunaler Ebene. Über sie kann man in der Regel das Spektrum der Vereine und Gruppierungen von Einwanderern einer Stadt erreichen. Es ist Teil der Einwanderungsgeschichte, so Ünal, dass Migranten ihre kulturellen Angebote nach ihren Bedürfnissen selbst entwickeln und diese gilt es mit den Angeboten der öffentlichen Musikschulen zu verknüpfen.
Das „Gesetz zur Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe und Integration in Nordrhein-Westfalen und zur Anpassung anderer gesetzlicher Vorschriften“ vom 14. Februar 2012 wurde auch mit dem Ziel verabschiedet, in allen Kommunen Integrationszentren einzurichten, die Integrationskonzepte vor Ort entwickeln. Ihre Handlungsfelder sind per Erlass der Landesregierung u.a. Bildung, Erziehung, Kultur und Teilhabe. Diese Zentren könnten daher Ansprechpartner der Musikschulen sein. Fast alle Verbände sind in ihnen vertreten.
Ünal legte dar, dass die Zielgruppe sehr heterogen ist. In der Türkei leben nicht nur Türken, sondern auch Armenier, Araber, Kurden und weitere Volksgruppen. Als Religionen sind Alewiten, Sunniten, Juden, Armenier, Russisch-Orthodoxe, Christen und weitere vertreten. Die türkischen Einwanderer in Deutschland spiegeln mittlerweile das ganze Spektrum der Gruppen in der Türkei. Organisationsformen bilden sich oft auf ethnischer Basis, mehr und mehr gibt es aber auch religiöse Organisationen. Auch habe fast jede größere türkische Stadt und Region hier einen Verein gegründet, der kulturelle Angebote für seine Mitglieder macht. Zudem sind kulturelle Organisationen wie Tanzschulen entstanden.
Die Volksmusik mit Saz und Bağlama orientiert sich an den verschiedenen Regionen der Türkei, die starke kulturelle Bezüge darstellen. Ünal gibt dabei zu berücksichtigen, dass die Einwanderer, als sie nach Deutschland kamen, in den hier bestehenden Diskotheken und Clubs keine Möglichkeit fanden, ihre Musik zu erleben. So entwickeln sie eigene Formen, ihre Kulturen zu erleben. Für die Musikschulen sind die Integrationsräte auch deshalb die interessantesten Vernetzungspartner, weil diese Informationsstrukturen haben, die Menschen erreichen, die nicht die lokale Tageszeitung lesen, sondern allenfalls türkische Medien verfolgen.
Die Diskussion drehte sich vor allem um das Phänomen der kulturellen Parallelwelten und um die Ansprache von Schüler, Eltern und Bağlama-Lehrern. Bezüglich der Entstehung der Parallelwelten erinnerte ein Dozent der Musikschule Eftelya Moers daran, dass Bağlama-Spieler, die wie er um 1980 in die BRD kamen, bei den Musikschulen, die sie ansprachen, das Gespräch auf Augenhöhe vermissten.
Ein Problem in der Ansprache der türkischen Bevölkerungsgruppen besteht darin, dass die Vereine und Organisationen sich oft als Rivalen sehen, was dazu führt, dass man dann, wenn man mit einem Verein zusammenarbeitet, andere Gruppierungen gar nicht mehr ansprechen kann. Arif Ünal empfahl, bei den Gesprächen von vornherein klarzustellen, dass man keine strategische Partnerschaft anstrebe, sondern dass es um einzelne Kulturprojekte gehe und dass man mit allen reden wolle.
Johanna Schie, Leiterin der Kunst- und Musikschule Duisburg, schilderte in einem kurzen Referat, wie das Projekt „MüzikNRW“ in den Strukturen des Landesverbands der Musikschulen positioniert ist. Die Arbeit mit der Bağlama innerhalb der 159 Mitgliedseinrichtungen habe 2005 mit der Aufnahme der Bağlama in das Kategoriensystem des Regionalwettbewerbs Jugend musiziert in Duisburg einen ersten Markstein erlebt. Die Erweiterung des Unterrichtsangebots um die Bağlama tue jeder Musikschule gut. Wichtig sind pädagogisch versierte Bağlama-Dozenten, die nach westlichen Methodiken unterrichten. Wichtig sind auch Qualifikationen mit Zertifikationen, so dass öffentliche Musikschulen die Dozenten ohne Bedenken einsetzen können. Dieser Bedarf wurde sowohl von Musikschulleitern als auch von Bağlama-Dozenten in der Diskussionsrunde angemeldet.
Die Landesmusikakademie NRW ist dabei, in Kooperation mit dem Landesverband der Musikschulen und der Hochschule für Musik und Tanz Köln einen solchen Zertifikatslehrgang zu entwickeln. Auch wird sie im November 2014 zusammen mit diesen Partnern und dem Landesmusikrat NRW in Heek einen Bağlama-Kongress ausrichten, bei dem auch die Fragen nach den pädagogischen und künstlerischen Qualitäten diskutiert werden sollen.
In Bezug auf die Schüler-Eltern-Arbeit der Musikschulen plädierte Ruddi Sodemann für eine regelmäßige Elternarbeit, in Hürth hielt er während eines Projekts alle vier Wochen Elternabende ab, die von den Eltern eingefordert wurden. Ein Pädagoge mahnte, dass türkische Eltern oft befürchten, auf der Bağlama werde außerhalb der Vereine nur westliche Musik gespielt. Und die Eltern müssten überzeugt werden, dass die Kinder auch üben müssen, dafür Zeit benötigen und dazu angehalten werden müssen. Alle Diskussionsteilnehmer waren sich einig darin, dass türkische und deutsche Schülerinnen und Schüler gleichermaßen ein drängendes Zeitproblem haben. Zum Abschluss der Fachtagung erlebte die Runde eine Improvisation auf der Flöte Mey, perkussiv begleitet - eine behende Erdung der Diskussion in klingender Musik.
Die weiteren Termine von „MüzikNRW“:
5.4.2014, Musik- und Kunstschule Duisburg, Seminar Arrangement.
23.5.2014, Musikschule Bochum, Seminar Elternarbeit zwischen zwei Kulturen.
14.6.2014, Musikschule Hürth, Seminar Regionalstile.
29.8.2014, Folkwang-Musikschule Essen, Seminar Organisation und Arbeit mit interkulturellen Ensembles.
25.10.2014, Musikschule Bochum, Seminar Einführung in die Maqam.
7.-9.11.2014, Landesmusikakademie NRW Heek-Nienborg, Bağlama -Kongress, veranstaltet von der Landesmusikakademie mit Hochschule für Musik und Tanz Köln, Landesmusikrat NRW, Landesverband der Musikschulen u.a.
Robert v. Zahn
Foto: Arif Ünal, Vorsitzender des Integrationsausschusses des Landtags NRW