Am 14. Mai fand im RomaNEum in Neuss die bereits dritte Tagung von Landesmusikakademie NRW, Bertelsmann-Stiftung und Peter-Gläsel-Stiftung zur Verbesserungen der musikalischen Arbeit in Kindertagesstätten statt. Galt die erste Tagung im April 2012 noch der Vorstellung von Projekten und der Gewinnung eines Überblicks, so diskutierte ein Expertenkreis im November vertieft über musikpädagogische Aspekte. Es ging zum Beispiel um die grundsätzliche Frage, ob Erzieherinnen und Erzieher Kindern vor allem Raum für Klangerkundungen geben oder darüber hinaus auch Erfahrungen mit Musik als kulturellem Phänomen vermitteln sollten. Letzteres hieße dann, dass die Erzieherinnen neben einer Offenheit für den Forscherdrang der Kinder auch selbst Anregungen geben können sollten, zum Beispiel, indem sie über ein gewisses Repertoire von Liedern verfügen.
Die dritte – gemeinsam mit dem Landesverband der Musikschulen (LVdM) in NRW und der Musikschule der Stadt Neuss veranstaltete – Tagung im RomaNEum konzentrierte sich nun auf den Aspekt der Haltung. Unter dem Tagungstitel „Voneinander lernen – Haltung als Erfolgsfaktor für musikalisches Handeln in Kitas“ wurden die Teilnehmerinnen und (wenigen) Teilnehmer nach ihren praktischen Erfahrungen gefragt. Denn oft ist die innere Haltung der Dreh- und Angelpunkt für die erfolgreiche Verankerung musikalischer Aktivitäten in einer Kita und für eine gelingende Zusammenarbeit von Kindertagesstätte und Musikschule.
Nach der Begrüßung durch die Neusser Kulturdezernentin Dr. Christiane Zangs und der Vorstellung des Veranstalterteams berichteten im ersten Podium Monika Meiertoberens, die Leiterin des Musikkindergartens der Hochschule für Musik Detmold, und Birgit Herwig, dortige Fachkraft für Elementare Musikpädagogik (EMP), über ihre Kooperationserfahrungen, ebenso die Leiterin der Musikschule Haan Eva Dämmer und Barbara Quednau, die Leiterin der mit der Musikschule kooperierenden Integrativen Kita Bollenberger Busch in Haan. Das Gespräch leitete Stefan Wolf von der Peter-Gläsel-Stiftung, der bereits die beiden vorangegangenen Tagungen moderierte.
Dämmer betonte, wie wichtig es sei, ständig miteinander im Gespräch zu bleiben, um gemeinsam zu überlegen, was sinnvoll ist. Die Kooperation in Haan ist Teil eines Modellprojekts des LVdM, das seit dem Beginn des Kindergartenjahres 2012/13 Kooperationen von Musikschulen und Tagesstätten fördert mit dem Ziel, daraus übertragbare Gelingensbedingungen abzuleiten. Die vier weiteren für das Modellprojekt ausgewählten Kindertagesstätten befinden sich in Bochum, Dortmund, Leverkusen und Lüdenscheid. Handlungsleitend ist dabei der Gedanke, dass alle Beteiligten – Kinder, Eltern bzw. Familien, Erzieherinnen und Musikpädagoginnen – durch gemeinsame musikalische Aktivitäten mit- und voneinander lernen (vgl. zu dem durch Landesmittel geförderten Modellprojekt <link http: www.lvdm-nrw.de projekt kita-und-musikschule>www.lvdm-nrw.de/projekt/kita-und-musikschule).
Auch Meiertoberens und Herwig stellten die Bedeutung der regelmäßigen Besprechungen und des gemeinsamen Austauschs heraus. Die wissenschaftliche Begleitung fördere das gemeinsame Nachdenken über die Zusammenarbeit zusätzlich. Der Musikkindergarten der Detmolder Musikhochschule ist insofern als Ideal- und somit Sonderfall zu begreifen, als alle Erzieherinnen über musikalische Fähigkeiten verfügen und viele der Kinder bereits in ihrem Elternhaus in einem musikalischen Umfeld aufwachsen. Eine Herausforderung sowohl an die Musikpädagogin als auch an die Erzieherinnen stellen dabei die „U3-Kinder“, also die Kinder unter drei Jahren dar (vgl. zu der Detmolder Musik-KiTa <link http: www.lippeimpuls.de de projekte bildung musik-kita-der-hochschule-fuer-musik.htm>www.lippeimpuls.de/de/Projekte/Bildung/Musik-KiTa-der-Hochschule-fuer-Musik.htm).
Von Moderator Wolf auf die erfahrungsgemäß nicht immer leicht zu erfüllenden Ansprüche von Eltern angesprochen („Feinde außerhalb des Hauses“) gibt Dämmer zu, dass die Einbeziehung der Eltern im Normalfall zu kurz komme. Eines der Modelle des LVdM-Modellversuchs werde sich daher insbesondere diesem Aspekt widmen. Es gehe auch darum, den Eltern etwas von der Entdeckerfreude und der Begeisterung der Kinder zu vermitteln. Oftmals bezögen sich die Erwartungen der Eltern allein auf ein abfragbares System von Erlerntem. Quednau ergänzt, dass Eltern auch mehr in den Kita-Alltag einbezogen werden müssten, um gemeinsam über Ziele und Erwartungen nachzudenken; dabei gehe es auch um die Verschränkung der verschiedenen Bildungsbereiche. Wichtig sei zudem die Begegnung auf Augenhöhe.
Hat die Änderung der inneren Haltung vielleicht in erster Linie mit dem Faktor Zeit, die man in der Kooperation miteinander verbringt, zu tun? Dämmer hat jedenfalls eine Wandlung der Haltung bemerkt, da die Musikschule durch den Modellversuch nicht nur einmal, sondern mehrmals in der Woche in die Kita kommt, dies gebe Raum für die Entwicklung einer anderen Haltung. Denn häufig ist es noch so, wie eine Musikpädagogin später in einem Workshop sagen wird: die Arbeit der Musikschule in der Kita wird als bloße Dienstleistung gesehen, die musikpädagogische Fachkraft kommt für eine halbe Stunde in die Einrichtung und geht dann wieder. Das ist aber für beide Seiten unbefriedigend – und für die Kinder!
Im Anschluss verteilten sich die rund 100 hauptsächlich aus Musikschulen und Kindertagesstätten kommenden Teilnehmerinnen und Teilnehmer in fünf Workshops, wobei die ersten beiden Workshops, die sich mit altersbezogener Arbeit beschäftigten, besonderer Beliebtheit erfreuten:
Workshop 1: Die Haltung zum Kind – Musikalisches Handeln mit Kindern im U3-Bereich als Herausforderung
Workshop 2: Selbstlernprozesse nur für Krabbelkinder? – Die Haltung in der Arbeit mit 3-6-Jährigen
Workshop 3: „Miteinander oder gegeneinander?“ – Die Haltung zur Zusammenarbeit
Workshop 4: Haltung vermitteln – Die Bedeutung von Vorbild und Leitung
Workshop 5: Haltung vermitteln – Eine Herausforderung für die Aus- und Weiterbildung
Die Ergebnisse der in zwei Phasen am Vor- und Nachmittag durchgeführten Workshops wurden in der Schlussrunde zusammengetragen. Eine ausführliche Dokumentation und Auswertung erfolgt in der Nachbereitung, denn es geht den Veranstaltern darum, einen möglichen Orientierungsrahmen für eine erfolgreiche Verankerung musikalischer Aktivitäten in den Kitas zu entwickeln.
Das Schlusspodium bezog dann auch den Blick von Politik und Trägern von Kindertagesstätten mit ein. Stefan Wolf sprach mit dem kulturpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag Andreas Bialas, mit dem CDU-Landtagsabgeodneten und Mitglied des Familienausschusses Walter Kern, mit Martin Künstler, Fachbereichsleiter beim Paritätischen NRW und Helga Siemens-Weibring, der Geschäftsbereichsleiterin der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. Dabei ging es auch um die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit: Was sind dem Staat Kultur, Bildung und Erziehung wert?
Bialas plädierte dafür, das Thema kulturelle Bildung weiterhin präsent zu halten: das, worüber nicht mehr gesprochen werde, laufe Gefahr, nicht mehr gefördert zu werden. Er appellierte an die Anwesenden, sich auch auf politischer Ebene zu engagieren, um Bildung und Kultur bei Entscheidungsprozessen auch auf kommunaler Ebene eine Stimme geben zu können. Der Passus in der Koalitionsvereinbarung, auf den Wolf ihn ansprach, sei eine Absichtserklärung, angesichts bevorstehender Verteilungskämpfe müsse zusätzlicher politischer Druck auf die Entscheidungsträger ausgeübt werden. Deutlich sprach sich Bialas gegen eine nur projektbezogene Förderung kultureller Bildung aus, eine stärkere Verankerung sei notwendig; wenn es um Rechnen gehe, sei das Bildungssystem nicht so nachlässig. In den Kindertagesstätten könne Musik helfen, Aufmerksamkeit zu erzeugen und eine angenehmere, ruhigere Atmosphäre zu schaffen. Er selbst habe diese Erfahrung beim Vorlesen von Geschichten in Kindertagesstätten gemacht, ein Lied zu singen, habe einen ähnlichen Effekt.
Künstler stellte heraus, dass für die Kinder in den Kitas das Thema „Bindung“ von großer Bedeutung sei. Es gehe darum, die Kinder zu begleiten und eine Beziehung aufzubauen und ihnen Erfahrungsräume zu eröffnen. Die Kinder selbst seien begierig, die Welt in sich aufzunehmen. Der U3-Ausbau sei eine große Herausforderung, insbesondere angesichts des Fachkräftemangels. Er verwies auf eine Studie der Alice-Solomon-Hochschule in Berlin, die belege, dass 20 bis 25 % der Zeit für indirekte pädagogische Arbeit notwendig sei, also für Vor- und Nachbereitung und Absprachen; in NRW werde dafür nur 10 % angesetzt, Krankheit und Fort- und Weiterbildung eingeschlossen (vgl. zu dem von Prof. Dr. Susanne Viernickel geleiteten Projekt „Strukturqualität und Erzieherinnengesundheit in Kindertageseinrichtungen“ <link http: www.kita-forschung.de>www.kita-forschung.de). Die zu Verfügung stehenden Mittel reichten nicht aus.
Siemens-Weibring schloss sich dieser Einschätzung an. Die Wertschätzung der in den Kindertagesstätten geleisteten Arbeit zeige sich darin, Räume – also auch Mittel – in ausreichender Weise zur Verfügung zu stellen. Die Rahmenbedingungen des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) machten solche Räume nicht auf. Trommeln gehöre zu Handwerk, wie man wisse, dies empfehle sie den Musikpädagogen angesichts der Situation nicht nur im eigentlichen, sondern auch im übertragenen Sinn. Es gehe zum Beispiel darum, die Eltern dazu zu bewegen, dass sie sich für mehr Musik in der Kita einsetzten.
Kern bemerkte, dass er zwar beobachtet habe, dass seit 2010/11 ein Veränderungsprozess in Gang gekommen sei, der Kindertagesstätten nicht nur als Einrichtungen der Betreuung, sondern der Bildung begreife. Die kulturelle Förderung werde seiner Meinung nach gesellschaftlich aber noch stark unterschätzt. Es sei ein gesellschaftlicher Prozess, hier mehr Mittel zu investieren; er sei überzeugt, dass sich eine solche Investition auf lange Sicht auch im buchstäblichen Sinn lohnen würde. Aus der Opposition heraus könne man zwar leicht eine Überarbeitung des KiBiz und eine bessere finanzielle Ausstattung fordern, er wisse aber, wie schwierig es sei, dies durchzusetzen.
Künstler gab den Landespolitikern schließlich die Empfehlung mit auf den Weg, dass man zur Umsetzung von als gut erkannten Bildungsgrundsätzen in die Praxis für einen überschaubaren Zeitraum von fünf Jahren Geld in die Hand nehmen sollte, um Kooperationen von Musikschulen und Kindertagesstätten in der Fläche zu begleiten, um sich die Schnittstellen anzugucken, um Rahmenbedingungen zu schaffen und Fortbildungen anzubieten.
Von Veranstalterseite (Antje Valentin, Musikakademie NRW, Dr. Ute Welscher und Anke von Hollen, Bertelsmann-Stiftung, Stefan Wolf, Peter Gläsel Stiftung, Annegret Schwiening-Scherl, Landesverband der Musikschulen in NRW) gab es am Ende neben dem Dank an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer für ihre Mitarbeit den Hinweis auf eine beabsichtige Veröffentlichung der Tagungsergebnisse und die Ankündigung weiterer Veranstaltungen zum Thema musikalische Bildung in Kindertagesstätten.
Weitere Informationen über das Projekt „Musik im Kita-Alltag“ der Bertelsmann-Stiftung unter <link http: www.bertelsmann-stiftung.de cps rde xchg bst hs.xsl>www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/bst/hs.xsl/102276.htm.
(hs)