Zum dritten Mal fand der Improvisationsworkshop für junge Frauen in Bielefeld statt. Der Landesmusikrat kooperiert hierbei mit der Musikschule POW, in der der Workshop an zwei Wochenenden durchgeführt wurde, und mit dem Bunker Ulmenwall, der das Abschlusskonzert ausrichtete. Die Dozentinnen Angelika Niescier und Julia Hülsmann erforschten mit den Musikerinnen zunächst Klänge, ihre Hervorbringung und ihren frei gestalterischen Einsatz, sie führten sie in die musikalische Kommunikation ein und in die improvisatorische Verarbeitung musikalischer Motive.
Ein besonderer Schwerpunkt galt den außermusikalischen Anregungen zur Improvisation. Begebenheiten des Alltags, Gedichte, bildende Kunst und andere Inspirationen können zur musikalischen Ausgestaltung herausfordern. Die Teilnehmerinnen konnten den Skulpturenpark der Kunsthalle Bielefeld neben der Musikschule POW besuchen, doch die meisten schätzten eher prosaische Anregungen. Der Sturz einer alten Dame, eine Bäckersfrau, ein Kürbis auf dem Marktplatz und ein schmerzender Weisheitszahn setzten die musikalische Fantasie mehr in Gang als eine artifizielle Skulptur.
Nach einer Reflexion über das Phänomen der Improvisation wurden die Musikerinnen mit Hausaufgaben aus dem ersten Workshop-Wochenende entlassen und begannen, ein eigenes Stück über eine außermusikalische Vorgabe zu konzipieren, das dann im zweiten Wochenende näher ausgeführt wurde. Ein großer Teil der Zeit galt der musikpraktischen Umsetzung in der Gruppe und der Diskussion der Entwürfe. Auch zwei feststehende Stücke wurden erarbeitet, um die Musikerinnen als Ensemble zu formen, eine Filmmusik von Angelika Niescier (zu "Drei Frauen, drei Wünsche, ein Jahr") und das Triostück "Sketches" von Julia Hülsmann.
Das Abschlusskonzert im Bunker brachte etliche schillernde Ergebnisse zu Tage. Die Gemeinschaftsimprovisation "Sehnsucht und Einsamkeit" schilderte mit glissandierenden Gitarrenklängen sowie Perkussionsrhythmen auf Bongo, Flügelkörper und Kontrabass das Phänomen von Einsamkeitsgefühlen mitten in einer Menschengruppe. Nach Saxophon-Motivfetzen mündete es in schrille Schreie.
Der "Song mit Rilke" der jüngsten Musikerin, der 14-jährigen Marie Sanders aus Soest, führte in die alte Form des Melodrams zurück: Zu lyrischer, tonaler Musik rezitierten die Musikerinnen zwischen Saxofonkantilenen Verse aus Rainer Maria Rilkes Gedicht "Die Erblindende".
Charlotte Kohl-Gorski setzte sich mit dem Roman "Veronika beschließt zu sterben" von Paulo Soelho auseinander. Zusammen mit Carla Isa Adriaens, Luise Volkmann, Marie Sanders, Kristina Schönbeck, Charlotte Illinger und Jule Balandat schuf sie die Klanggeschichte einer jungen Frau aus Slowenien, die nach einem Suizidversuch in einer Geschlossenen Anstalt aufwacht und erfährt, dass sie in etwa einer Woche an den Spätfolgen ihrer Tablettendosis sterben wird. In dieser Woche beginnt sie endlich zu leben – eine Entwicklung hin zur Vitalität, die die Musikerinnen plastisch ausgestalteten.
Alltäglicher zeigte sich das Ausgangssujet der Dortmunder Bassistin Jule Balandat: "Orangenmond" erzählt eine musikalische Geschichte von einem Kürbis auf einem Marktplatz. Die improvisatorische Ausführung zeigte, zu welch erstaunlichem Grad der musikalischen Kommunikation die Workshopteilnehmerinnen gelangt waren.
Der Workshop des Landesmusikrats wurde vom Ministerpräsidenten des Landes NRW aus dem Referat für Interkulturelle Kunst und Kulturarbeit der Staatskanzlei finanziert. Die Organisation lag in den Händen von Kerstin Belz.
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Foto: Marie Sanders spielt ihren "Song mit Rilke", 22. Nov., Bunker Ulmenwall Bielefeld.
Jule Balandat, Luise Volkmann und Kristina Schönbeck im Bunker Ulmenwall.
Die Teilnehmerinnen vor dem Eingang zum Bunker, in der Mitte Organisatorin Kerstin Belz, rechts neben ihr Dozentin Angelika Niscier.
Fotos: LMR NRW.