Diskussion in der Kemnade
Im Wasserschloss Kemnade befasste sich eine Expertenrunde mit der Situation von Ausbildung und Förderung der globalen Musik in NRW. Moderator Pit Budde befragte Bertram Frewer (Kulturbüro Bochum), Kazim Calisgan (Katakomben Theater Essen), Thomas Baerens (Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW), Robert v. Zahn (Landesmusikrat NRW) und den Veranstalter Christian Esch (NRW-Kultursekretariat Wuppertal): Wie ist es derzeit um die globale Musik bestellt?
Robert v. Zahn skizzierte ein Konglomerat verschiedener, weitgehend unabhängig voneinander existierender Szenen von Musiken der Einwanderer in NRW. Den etablierten Institutionen sind sie wenig bekannt. Erstaunlich hochrangiges kulturelles Geschehen spielt sich oft innerhalb geschlossener Communities ab. Der Fachautor Birger Gesthuisen hat die Szene in seiner Studie „Musikwelten NRW“ im Auftrag des Landesmusikrats beschrieben.
Christian Esch mahnte, dass sich im Ausbildungswesen viel tun müsse. Viel zu wenig finden sich Instrumente der Einwandererkulturen in der Lehrangeboten der Musikhochschulen und auch der Musikschulen. Das NRW-Kultursekretariat hat mit seinem Programm „Bağlama für alle“ in kommunalen Musikschulen von NRW einiges initiieren können.
Robert v. Zahn weist darauf hin, dass es an die 170 weitere Instrumente aus anderen Kulturen in NRW gebe. Thomas Baerens sieht die Landesregierung, Verbände und Kultursekretariate auf einem langen Weg. Denn bis die Öffnung der Schulen und Hochschulen erreicht wird, sind viele Probleme zu lösen und viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Pit Budde stellt zudem heraus, wie wichtig es ist, dass die Schüler nicht nur das Spiel des Instruments erlernen, sondern auch den kulturellen Kontext seiner Handhabung erfahren.
Esch berichtet, dass er nach dem erfolgreichen Start von „Bağlama für alle“ die Musikschulen um Vorschläge gebeten habe, mit welchen Instrumenten jetzt fortgefahren werden könne, doch der Rücklauf sei sehr gering gewesen. Robert v. Zahn versucht, Verständnis für die kommunalen Musikschulen zu wecken, die seit einigen Jahren in ständig neuer Weise herausgefordert seien, außerhalb ihres ursprünglichen Kerngeschäfts zu arbeiten. Ihre Flexibilität muss schon aufgrund der einschlägig fachlichen Ausbildung von Musikschullehrern Grenzen habe, über die die öffentlichen Musikschulen in NRW eigentlich deutlich hinaus gingen. Thomas Baerens präzisiert, dass zwar auch das Programm „Jedem Kind ein Instrument“ eine solche Herausforderung sei, dass es aber auch sehr zur Stabilität der Musikschulen in ihren Kommunen beitrage. Das Programm ist ein wichtiger Beitrag zugunsten der globalen Musik, schon allein deshalb, weil die beteiligten Musikschulen Instrumente von Einwandererkulturen in ihre Angebote aufnehmen müssen.
Bertram Frewer plädiert dafür, in die bestehenden Kulturinstitutionen – auch in die der musikalischen Bildung – stärker den Umstand einzubeziehen, dass in den Szenen der globalen Musik sehr viel autodidaktisch erreicht wurde. Die Künstler und Strukturen der freien Szenen haben hier viel zu bieten und die Lehrinstitute sollten sie ohne formale Beschränkungen integrieren. Christian Esch ergänzt, dass in den Leitungsfunktionen der Kulturinstitute Menschen mit Migrationshintergrund unterrepräsentiert seien.
Kazim Calisgan kennt diese Strukturen der freien Szenen bestens. Er ist nicht nur Spielstättenbetreiber, sondern als Solist und als Ensemble-Spieler unterwegs. Sein Theater Katakombentheater ist eines der wichtigsten Foren der Szene globaler Musik im Ruhrgebiet. Er schildert als Vorbild eine Serie von Workshops des Selim-Sesler-Trios mit dem Transorient-Orchestra, an dem junge Musiker nicht nur aus dem Ruhrgebiet, sondern weit darüber hinaus teilnehmen. Diese vom Land NRW über den Landesmusikrat geförderten Workshops verbinden den Anspruch höchster künstlerischer Qualität mit einer kulturellen Breitenwirkung im Nachwuchsbereich.
Wo hier die Priorität zu setzen ist, darüber gerät die Diskussionsrunde auseinander. Christian Esch plädiert für einen unbedingten Primat der künstlerischen Qualität. Nur wenn die Qualitätsfrage bei Förderentscheidungen obenan steht, würde es gelingen, globale Musik in den Kulturinstitutionen zu etablieren und breite Akzeptanz herbeizuführen. Robert v. Zahn sieht die Musik als Mittel der kulturellen Artikulation im Vordergrund. Förderung verdienen auch Projekte und Programme, die es den Menschen ermöglichen, sich über ihre Musik auszudrücken oder die gar kulturferne Schichten über globale Musik erreichen. Auch Thomas Baerens stellt die Qualitätsfrage vornan. Bertram Frewer rückt zudem den wirtschaftlichen Faktor ins Gesichtsfeld. In Förderung und Ausbildung müsse mit berücksichtigt werden, dass die ausgebildeten Musiker letztlich von ihrem Tun leben können müssen.
Wie geht es nun weiter? Es gibt viele gute Ansätze und manches ist auch schon erreicht worden, doch Christian Esch fordert entschieden die Einrichtung einer Plattform, die die Akteure zusammenbringt. Eine Veranstaltung zur musikalischen Interkultur in NRW im Landtag, die NRW-Kultursekretariat, die Stiftung „Jedem Kind ein Instrument“, der Landesmusikrat und der Landesverband der Musikschulen ausrichteten, hat einen Anfang gemacht. Nun muss die kontinuierliche Plattform folgen, auf der die Erfahrungen ausgetauscht und gemeinsame Ziele und Methoden festgelegt werden. Diesem Vorschlag stimmen alle Beteiligten nur zu gerne zu.
Foto: Pit Budde, Kazim Calisgan, Bertram Frewer, Christian Esch, Thomas Baerens und Robert v. Zahn in der Podiumsdiskussion vom 3.9.2010 im Wasserschloss Kemnade.