Wie ist es um die Zukunft der globalen Musik in NRW bestellt, fragte eine Konferenz am 9. und 10. Dezember im Kölnischen Kunstverein. Von Alba Kultur organisiert, vom Referat für interkulturelle Kunst und Kultur im Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport finanziert, von der Hochschule für Musik und Tanz Köln und der Deutschen Unesco Kommission mitgetragen, kam eine illustre Reihe weiterer Kooperationspartner zusammen, die Kulturpolitische Gesellschaft, der Landesmusikrat NRW, der Kölnische Kunstverein, die brotfabrik Bonn, interkultur.pro, WDR3 und die Zeitschrift Folker.
Ihrem Ruf folgten viele Fachinteressierte in die Räume des Kölnischen Kunstvereins, wo sie von Kurator Johannes Rühl und der finanzierenden Referentin des Kulturministeriums, Ulla Harting, begrüßt wurden. In ihrer Eröffnungsrede zog Ulla Harting eine Bilanz der interkulturellen Arbeit in NRW und wies darauf hin, wie wichtig es sei, dass diese auch dann geleistet werde, wenn man dabei erkenne, dass die hegemoniale westliche Kultur verunsichert werde. Ein konkretes Vorhaben der Landesregierung sei die Errichtung einer Akademie für Interkultur in Bochum.
Etliche Panels und Projektvorstellungen gingen verschiedenen Fragestellungen zur globalen Musik nach. Bis zu drei fanden gleichzeitig statt, so dass der Besucher einen Gesamtüberblick nicht erhalten, aber seinen Interessen folgen konnte: Medienlandschaften, politische Konzepte, kulturwirtschaftliche Verankerung, internationale Vernetzung und vor allem Bildung und Hochschulwesen standen im Fokus der Diskussionsrunden.
Wie selbstverständlich sind die Musikformen der Einwanderer in die etablierten Ausbildungsinstitutionen eingebunden? In Nordrhein-Westfalen hat sich in den vergangenen Jahren einiges bewegt. Im Rahmen des Programms "Jedem Kind ein Instrument" bieten viele Musikschulen des Ruhrgebiets in ihrem Fächerkanon auch zwei Instrumente der Einwanderer in den Grundschulen an. Auch außerhalb des Ruhrgebiets leistet manche Musikschule erfolgreiche kulturintegrative Arbeit über die Musik – die Preisvergaben des Sparda-MusikNetzWerks 2010 zeugen davon.
Mit Hilfe des Kultursekretariats Wuppertal ist die Langhalslaute Bağlama in viele Musikschulen eingezogen und damit mittelbar auch in den Landeswettbewerb "Jugend musiziert" des Landesmusikrats NRW. Doch die Musikhochschulen tun sich noch schwer damit, diese Ansätze in ihren Studienordnungen zu berücksichtigen. Deshalb nahm das Panel "Globale Musik im Hochschul-Studium: Kann und soll man Globale Musik akademisieren?" gerade die Hochschulen ins Blickfeld.
Leo Vervelde erläuterte in seinem Impulsreferat die Struktur des Rotterdams Conservatorium. Das in fünf Zweige gegliederte Institut kann Kurse in den Fächern Musiktheater, Pop, Jazz/Fusion, Komposition/Arrangement, Musikproduktion, klassische Musik und Musikerziehung, Tango, Flamenco und in Globaler Musik anbieten. Letztere setzte und setzt u.a. Schwerpunkte im Türkischen, Indischen, Brasilianischen. Ziel ist der Bachelor Abschluss oder Master Abschluss.
Die fünf Zweige haben keinen Gesamtleiter, sondern agieren in ihren Angeboten weitgehend selbständig. Die gut vernetzte Einrichtung kooperiert u.a. mit den Konservatorien von Lyon, der Sibelius-Akademie in Helsinki, der Universität von New Orleans und Musikschulen in Havanna, Córdoba und Bombay. In Hinsicht der Struktur, der Studienangebote und der Vernetzung kann sie Vorbild für deutsche Hochschulen sein.
Heinz Geuen, Prorektor der Kölner Musikhochschule, wies darauf hin, dass es trotz guter Vorbilder zunächst einmal eine grundsätzliche Frage zu klären gelte: Bildet die Hochschule Musiker der Globalen Musik als professionelle Künstler für den Musikmarkt aus oder schafft sie zusätzliche Module für globale Musik in den bisherigen Studiengängen, vor allem denen der Musikpädagogen?
Leo Vervelde und Martin Greve, der türkische Musik in Rotterdam lehrt, beantworteten diese Frage für Rotterdam klar: Sie bilden Musiker für das Musikleben aus und achten bei der Konzeption ihrer Angebote darauf, dass die Musiker dort auch eine Chance haben, sich ernähren zu können.
Der Komponist und Musikwissenschaftler Dieter Mack von der Musikhochschule Lübeck gab gegenüber einer zu getreuen Übernahme des Rotterdamer Vorbilds zu bedenken, dass es in Deutschland die kolonialen Traditionen nicht gebe, die sich in der guten Wahrnehmung der Rotterdamer Angebote immer noch auswirken. Dafür habe NRW, so kam es aus dem Publikum, allerdings hinreichend kulturelle Einflüsse durch die intensive Einwanderung seit den 1960er Jahren im Lande.
Die Hochschulen, so Dieter Mack, müssen durch eine Erweiterung ihrer Angebote in erster Linie eine Horizonterweiterung möglich machen. Es könne vielleicht auch ein Zentrum für Weltmusik geben, so wie es Ulla Harting in ihrer Eröffnungsrede im Form einer Interkultur-Akademie in Bochum in Aussicht gestellt habe, doch wichtiger sei es, dass die bestehenden Musikhochschulen die Globale Musik zur Horizonterweiterung ihrer Studierenden aufnehmen würden. Dem folgten etliche Diskussionsbeiträge aus dem Publikum.
Die Musikerin Xu Fengxia (Ghuzeng, Sanxian) schilderte eindrucksvoll die Ausrichtung der Studiengänge an der Musikhochschule Shanghai, die in einem solchen Ausmaße westlich orientiert seien, dass interkulturelles Denken erschwert werde. Sie plädierte dafür, in jeglicher stilverbindenden Arbeit die kulturellen Wurzeln zu achten.
Heinz Geuen stellte fest, dass man an die Kulturen anknüpfen müsse, die im Lande vertreten seien. Für ihn ist die türkische und die osteuropäische Einwanderung wichtig. Zuerst könnten deren Inhalte in die Lehramtsstudiengänge einziehen. Manche Innovation in den Studienordnungen sei von Lehramtsstudiengängen ausgegangen. In der Instrumentalpädagogik gelte es, zusätzliche Modulangebote zu schaffen und eine Mehrfachkompetenz der Musikerinnen und Musiker anzustreben.
Die Besucher des Panels waren mit den Aussagen wenig zufrieden. Ein Déjà-vus hatte gar Martin Greve: Bereits 2004 hatte ein guter Teil aller Panel-Teilnehmer bereits in Essen unter gleichen Fragestellungen zusammengesessen, die gleichen Fragen gestellt und die gleichen Zustände moniert. Da sei doch bemerkenswert wenig passiert. Heinz Geuen, dem die Schelte am wenigsten galt, bat die Anwesenden gleichwohl um Geduld. Wenn eine Hochschulleitung offen sei, hieße das noch nicht, dass auch die 125 Inhaber von Professorenstellen willig seien. Das brauche Zeit.
Im Rahmen der Projektvorstellungen in einem Panel zu "Musik und Migration" stellten Birger Gesthuisen, Kazim Calisgan und Robert v. Zahn zwei Projekte des Landesmusikrats NRW vor, Birger Gesthuisens Studie "Musikwelten NRW: Kulturen der Einwanderer" (Essen: Klartext, 2010) und den Weltmusikwettbewerb "Creole NRW 2010".
Almuth Fricke und Bojan Vuletic erläuterten das erfolgreiche Projekt "Polyphonie", das Teilnehmerinnen und Teilnehmer aller Kulturkreise einlud, ihr Gesangstalent in Workshops mit Unterstützung von professionellen Musikern und Musikpädagogen weiterzuentwickeln und sich mit ihrem persönlichen Lied vor großem Publikum an Konzertstätten wie der Duisburger Mercatorhalle zu präsentieren.
Alle Diskussionen der Konferenz und auch die Wortbeiträge aus dem Publikum wurden aufgezeichnet. Alba Kultur will sie als komplette Dokumentation von Globalflux vorlegen, womit man statt des kleinen Ausschnitts dieses Berichts einen vollständigen Überblick über den zweitägigen und dreizügigen Verlauf der Konferenz erlangen kann.
rvz