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Kulturarbeit von, für und mit Geflüchteten – eine Tagung in Berlin bot Ansätze

Zur Diskussion von „Strukturen und Gelingensbedingungen in der Kulturarbeit von, für und mit Geflüchtete(n)“ luden der Ratschlag Kulturelle Vielfalt, die Exile-Kulturkoordination und das Netzwerk Junge Ohren am 7. März in die Räume des Netzwerks in der Heilig-Kreuz-Kirche Berlin ein. Die Vielfalt der Herkünfte der Flüchtlinge erfordert es, strategisch, chancen- und potentialorientiert vorzugehen, dabei mit dem Instrumentarium des Diversitäts-Managements zu arbeiten und auf diese Weise eine interkulturelle Öffnung und kulturelle Begegnungsräume zu schaffen. Das wiederum erfordert den regelmäßigen Austausch und kritische Diskussion der Ansätze. Gabriele Schmitt (Ratschlag Kulturelle Vielfalt), Tina Jerman (Exile), Lydia Grün (Netzwerk) und Franz Kröger (KuPoGe) versammelten deshalb Wissenschaftler, Institutionenvertreter und Projektdurchführende aus der Praxis der interkulturellen Arbeit, um Ansätze von Kulturprojektarbeit mit Geflüchteten zu demonstrieren und zu reflektieren.

Prof. Dr. Caroline Robertson-von-Trotha vom KIT Karlsruhe untersuchte in ihrem Eröffnungsvortrag das Geflecht notwendiger Leitlinien für die Kulturarbeit von und mit Geflüchteten. Ein differenziertes und heterogenes Bild von Prozessen, die oft parallel und widerstreitend verlaufen, entstand. Schon zur Ausgangssituation von interkultureller Projektarbeit in der Gesellschaft postulierte Robertson, dass die Entwicklung und das Verständnis eines Kulturpluralismus weder linear und schon gar nicht parallel verlaufen. Deshalb zeigt sich die Szene der kulturellen Einflüsse für jedes Projekt neu und anders. Eindrucksvoll zeigten Statistiken der Häufigkeit von Asylanträgen in Europa, dass die Realität vom gängigen Bild abweicht, etwa in Bezug auf die Abschottung Ungarns, das tatsächlich hohe Zahlen von Anträgen erlebte und erlebt. In Deutschland ist das höchste Aufkommen von Anträgen eindeutig in NRW zu verorten. Es kongruiert mit den Daten des Ausländeranteils in der Bevölkerung, bei dem NRW und Berlin vorne liegen. Diese Anteile erlauben aber kaum eine pauschale kulturelle Sortierung von Bevölkerungsgruppen, wie Robertson darlegte. Denn die Kulturen werden immer hybrider und immer asymmetrischer. Statt eindeutiger gefühlter kultureller Zugehörigkeiten herrschen individualisierte Kulturcodes und Lebensstile vor, welche die Ausgangslagen interkultureller Arbeit komplex gestalten.

Eine Gefahr, der man sich bewusst sein muss, sind gängige und eingefahrene Begrifflichkeiten, die zur Unterschätzung dieser Komplexität führen. Wichtig ist es, dass Projekte kulturelle Begegnungen von Migranten mit Stadtteilen erzielen. Diese Stadtteile sind mal mehr, mal weniger für kulturelle Vielfalt geöffnet, was sich die Projekte bewusst machen müssen. Diversity ist vielschichtig, sie verursacht gleichzeitige Prozesse von Integration und Desintegration.

Als generelle Leitlinie gilt laut Robertson die "Interkultur für alle". Tatsächlich werde Integration oft als einseitige assimilatorische Anpassung angesehen. Das aber trage weder der Tatsache Rechnung, dass sich die Gesellschaft als Ganzes verändere, noch dem Umstand, dass die Aufgabe, den Integrationsprozess zu organisieren, eindeutig bei der aufnehmenden Gesellschaft liege. Integration bedeute vor allem die grundsätzliche Chancengleichheit aller bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Geschehen. Als Maxime forderte Robertson "Soviel Vielfalt wie möglich, doch keine falsche Toleranz". Letzteres gelte vor allem Diskriminierungen von Frauen und von sexuellen Orientierungen sowie gegenüber Versuchen, die Kunstfreiheit einzuschränken.

Fünf Vorträge stellten Praxisbeispiele von Projekten mit Geflüchteten vor: Die Berliner Politologin Sabine Kroner beschrieb ein Netz von 13 Partnerschaften in Neukölln, die "Berlin Mondiale". Es sind sowohl städtische Institutionen wie Einrichtungen der freien Szene unter den Partnern, die mit Geflüchteten-Unterkünften in Berlin zusammenarbeiten. Sie versuchen, den Bewohnern möglichst nachhaltige Zugänge in die Stadtgesellschaft zu ermöglichen, und initiieren künstlerische Ausdrucksformen. Die Teilnehmenden sind in der Regel Kinder und Jugendliche, doch mehr und mehr kommt auch die Arbeit für Erwachsene hinzu, das Ausrichten von Tagungen, die Entwicklung von Apps und mehr. Die anschließende Diskussion des Vortrags begrüßte das Projekt, einzelne Beiträger aus Berlin forderten noch mehr Offenheit in der Ansprache der Partnerorganisationen.

Robert v. Zahn fasste Ergebnisse und Gelingensbedingungen aus vierzig Musikprojekten zusammen, die Musikvereine, Chöre und freie Musikinitiativen 2015/16 in NRW mit Fördermitteln des Landesmusikrats NRW durchgeführt haben. Ein ständiges Dazulernen im Projektverlauf kennzeichnete die Projekte. Manches ursprüngliche Ziel war unter den örtlichen Bedingungen nicht zu realisieren, doch die künstlerische Zusammenarbeit mit Geflüchteten führte oft zu beglückenden Erlebnissen und kultureller Weiterentwicklung. Eine neue Förderausschreibung wird vorbereitet. Die Diskussion fokussierte u.a. auf die Nachhaltigkeit der Projekte. Wie lange können Ergebnisse von Projekten währen, die in Flüchtlingsheimen mit wechselnden Bewohnerschaften durchgeführt werden? Ein kritischer Beitrag wählte den Begriff des "Geldverbrennens". Andere problematisierten den Umstand, dass viele schon seit langer Zeit Eingewanderte immer noch darauf hinarbeiten, dass sie auf Augenhöhe in das gesellschaftliche Leben einbezogen werden, und nun fassungslos sehen, welche Projektwelle die aktuelle Masseneinwanderung auslöst.

Schauspieldirektor Burkhard Kosminski vom Nationaltheater Mannheim berichtete über ein zweistufiges Projekt des Theaters vom Herbst 2015. Der erste Schritt bezog Geflüchtete in die Inszenierung des Bühnenstücks „Blick von der Brücke“ von Arthur Miller (1955) ein. Sie entwickelten u.a. als Chor den musikalischen roten Faden. Der Autor Peter Michalzik verdichtete zudem ihre persönlichen Geschichten und Erlebnisse zu einem Theatertext, den Schauspieler des Mannheimer Ensembles spielten, unterstützt von Geflüchteten. Der zweite Schritt betrachtete die Entwicklungschancen des Projekts und reflektierte die Konsequenzen für die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte der Integration von Flüchtlingen. Die Stadt Mannheim stellte Bildungsgutscheine für die beteiligten Geflüchteten zur Verfügung. Die Diskussion des Vortrags unterstrich die Rolle von Theatern als kulturelle Begegnungsräume für Geflüchtete. Entschieden forderten einige Beitragende, dass dieses nur in partizipativen Prozessen gelingen könne und nicht durch die bloße Rolle eines Theaterbesuchers.

Florian Schmidt, Atelierbeauftragter des Berufsverbands bildender Künstler Berlin, erläuterte ein Nutzungskonzept für das „Haus der Statistik“ am Alexanderplatz. Unter dem Motto "Co-Working and Co-Living Space" sollen in dem leer stehenden Verwaltungsgebäude Räume für Künstler, Stadtplaner, Politiker und Geflüchtete entstehen. Zu günstigen Mietpreisen will die Initiative ideale Bedingungen vor allem für Wohn- und Arbeitsgemeinschaften von Kulturarbeitern und Geflüchteten anbieten. Viele politische, formale und finanzielle Hürden sind noch zu nehmen, doch die Utopie hat bezwingenden Charme. Die Diskussion machte Konkurrenzängste deutlich: Berührt der Plan nicht die Aufgaben und die Existenzbegründung anderer, lang bestehender Einrichtungen in Berlin? Nein, es handele sich letztlich um das Schaffen von günstigen Vermietungsangeboten für Kulturschaffende, präzisierte Schmidt, und dafür gebe es hinreichend Nachfrage.

Prof. Rayan Abdullah von der Hochschule für Graphik und Buchkunst in Leipzig und Mitbegründer der Deutschen Universität in Kairo, entwickelte den Plan, eine Design- und Kunsthochschule für Geflüchtete zu eröffnen. Geflüchtete, die ihre künstlerische oder gestalterische Ausbildung abbrechen mussten, sollen hier ihre akademische Qualifikation fortsetzen können. Enthusiastische Beiträge der Tagungsbesucher entwickelten den Plan zum Ideal einer wahrhaft internationalen Hochschule weiter. Rayan Abdullah bremste. Ihm geht es vor allem um das Angebot eines qualitätsvollen Studiums – er fürchtet eine zu hohe Zahl von Interessenten, die Kompromisse in der Qualität nahelegen könnte.

In den Diskussionen konnte man viele weitere Projekte und Einrichtungen kennenlernen, die sich kulturell mit Geflüchteten befassen. Aus verschiedenen Städten und Bundesländern schienen analoge Probleme auf, die den regelmäßigen Austausch sinnvoll machen. Leitlinien, wie die Caroline Robertsons, müssen gefunden, geprüft und weiterentwickelt werden. Und es fehlt offensichtlich an ganz praktischen Ratschlägen für Projektdurchführende. Unter den Diskutierenden war auch die Berliner Kunsthistorikerin Maren Ziese; sie erarbeitet ein Handbuch der Kulturarbeit mit Geflüchteten. Im Oktober 2016 will sie die Arbeit abschließen. Eine große Nachfrage wird ihr sicher sein.

rvz

Foto: Schauspieldirektor Burkhard Kosminski vom Nationaltheater Mannheim referiert am 7. März 2016 in der Heilig-Kreuz-Kirche Berlin, Tagung "Strukturen und Gelingensbedingungen in der Kulturarbeit von, für und mit Geflüchteten"; Foto: LMR NRW.