Das "Studio musikFabrik, Jugendensemble des Landesmusikrats NRW" trat am 28. Oktober in der Zeche Carl in Essen auf. Es spielte ein frühes post-serielles Streichquartett von Krzysztof Penderecki, Mauricio Kagels "Schattenklänge" für Bassklarinette, dessen "10 Märsche, um den Sieg zu verfehlen" für Bläser und Schlagzeug und Stefan Hakenbergs Lieder für Sopran mit Ensemble-Begleitung "Oder River Image".
Das Konzert des Landesmusikrats NRW und der "Plattform Neue Musik Ruhr" war Teil des "Netzwerks Neue Musik", einem Förderprojekt der Kulturstiftung des Bundes. Das Netzwerk hat nichts weniger als die Vermittlung der zeitgenössischen Musik an ein breit gefächertes, neues Publikum zum Ziel, und so zog das "Studio musikFabrik" nicht in eine traditionelle Stätte der Kunstmusik, sondern in ein Soziokulturelles Zentrum.
Die Zeche Carl ist eines der interessantesten unter diesen in NRW. Ursprünglich diente sie dem Gaskohleabbau, doch schon ab 1970, zu Beginn des Strukturwandels im Ruhrgebiet, wurde sie durch eine Initiative von Bürgern, Jugendlichen und der örtlichen evangelischen Gemeinde zu einem Kulturzentrum umgebaut. Neben der Alten Feuerwache in Köln zählte die Zeche Carl von der Zeit an zu den Altvorderen der Soziokulturellen Zentren, und es gab in der Szene ein kleines Erdbeben, als der Betrieb im Jahr 2008 Insolvenz anmelden musste.
Seit Herbst 2009 ist das Casinogebäude der Zeche Carl mit neuer Trägerstruktur, neuem Konzept und neuer Geschäftsführerin, Kornelia Vossebein, wieder als Kulturstätte aktiv. Das alte Stammpublikum hat das Veranstaltungsprogramm nur zu gerne wieder angenommen. Und so steht die Zeche Carl für Pop, Heavy Metal, Punk, Kabaret, Lesungen, Elektronik-Parties und mehr. Nicht aber für komponierte Neue Musik.
Gleichwohl nahmen sich die 14 Musiker des Studios musikFabrik, die Solistin Julia Mihály und Dirigent Carl Rosman im Saal der Zeche absolut indigen aus. Kornelia Vossebein hatte das Publikum vorsichtig kalkuliert und knapp hundert Stühle gestellt – durchaus treffsicher, wie sich zeigte, denn einige Plätze waren noch frei. Das Publikum bestand aus Freunden der Neuen Musik und aus dem Stammpublikum der Zeche. Sie wirkten einander nicht fremd, nicht zuletzt deshalb, weil trotz manchen jugendkulturellen Angebots auch das Publikum der Soziokulturellen Zentren altert.
Pierre, mit 24 Jahren einer der Jüngsten im Saal, hatte zuletzt ein Popkonzert in der Zeche besucht. Die "Hundreds" und Sängerin Eva Milner hatten eine Woche zuvor ihren elektronisch zentrierten Pop in die Zeche gebracht, der nach Meinung von Pierre stilistisch so weit weg von der Avantgarde nicht sei, wenngleich er und seine Freunde zu den "Hundreds" tanzten, zu Kagel aber nicht.
Auch Stefan, wohl an die dreißig Jahre alt, zählt sich zum Stammpublikum, wobei er seit der Sommerpause erst eine Veranstaltung besucht hatte. "Bobbin B" aus Aschaffenburg segelte zwischen Ska und Punk in die Zeche, die beste Show, die er bislang dort erlebt habe. Die erste Programmhälfte des Studios musikFabrik sagte ihm nichts, doch Kagel "geht ab", wie er hinwarf, was negativer klingt, als es gemeint war. In der Tat waren es wohl die eigenwilligen Märsche, die in der trockenen Interpretation von Carl Rosman eine Coolness ausstrahlten, die auch Fans anderer Genres erreichen kann.
Geschäftsführerin Kornelia Vossebein war vom Studio und dieser Programmfarbe durchaus angetan. Überrascht war sie, dass sie den Tontechniker, der obligatorisch die Veranstaltungen der Zeche begleitet, wieder nach Hause schicken konnte. "Rein akustisch spielende Bands kommen bei uns eigentlich nicht vor", meinte sie, doch der Saal trug auch die äußerst subtile und feinst nuancierte Interpretation von Kagels "Schattenklängen" durch Rosman an der Bassklarinette mit größter Deutlichkeit.
Eher noch bemerkte man eine Eigenheit der Saalausstattung in Form eines hohen Sirrens der Scheinwerfer, das sich mit einigen Flageolett-Tönen in Pendereckis Streichquartett zu interessanten Interferenzen überschnitt. Langer Applaus des nach der Pause etwas geschmolzenen Publikums belohnte die Musiker und ihre Projektmanagerin Karolin Probst. Heute kommt die "Titanic Boygroup" der Satirezeitschrift in die Zeche.
Das Studio musikFabrik ist ein Förderprojekt des Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW und steht in der Trägerschaft der musikFabrik und des Landesmusikrats NRW.
rvz .
Fotos: Das Studio musikFabrik, Jugendensemble des Landesmusikrats NRW unter Leitung von Carl Rosman am 28. Oktober 2010 in der Zeche Carl. Fotos: LMR NRW.