Der Landesverband der Musikschulen in NRW lud am 14. Dezember zur Vorstellung seines neuen Programms MüzikNRW2 und zur Diskussion angesichts der aktuellen Flüchtlingssituation in den Landtag ein. Ruddi Sodemann, Vorsitzender des Verbands, rekurrierte auf die Ergebnisse des Vorläuferprogramms MüzikNRW, das durchaus erfolgreich mit Panels und Workshops half, türkische Musik an öffentlichen Musikschulen zu verankern. An das Programm will MüzikNRW2 anknüpfen und nun alle Einwanderungskulturen in die Musikschularbeit einbeziehen.
Musikschul- und Verbandsvertreter, Landtagsabgeordnete, Kulturorganisatorinnen und frei schaffende Musiker waren der Einladung gefolgt, so dass im Diskussionsraum eine stattliche Runde zusammenkam. Annegret Schwiening, Geschäftsführerin des Landesverbands, moderierte die Veranstaltung. Der Vorsitzende des Integrationsausschusses des Landtags Arif Ünal hielt ein Grundsatzreferat. Ünal ist in den 1980er Jahren als Flüchtling vor dem Militärputsch in der Türkei nach Deutschland gekommen. Er weiß, dass Flucht immer aus zwingenden Gründen erfolgt, seien es politische, soziale oder wirtschaftliche. Ünal erkennt an, dass die Kommunen derzeit mit der Unterbringung sehr große Probleme haben, doch seien weitere Anstrengungen wichtig, denn man müsse die Flüchtlinge erfolgreich in unsere Gesellschaft integrieren.
Ünal ergänzte: Die Mehrzahl wird bleiben. Deshalb können wir nicht fünf oder zehn Jahre abwarten, wie es die Bundesrepublik noch mit den ersten Generationen der Gastarbeiter hielt. Vielmehr kann eine Win-win-Situation entstehen. Es ist längst eine multi-ethnische, -kulturelle und -religiöse Gesellschaft entstanden. Doch die öffentlichen Institutionen bilden diese oft nicht ab. „Wir müssen die Vielfalt zusammenbringen, nicht Strukturen nebeneinander bestehen lassen.“
Ünal lobte den Einsatz der Musikvertreter und auch die Anregungen, die vom Landesverband der Musikschulen ausgehen, sie seien bundesweit einzigartig. Er sieht die Bereitschaft zum Engagement in der ganzen Bürgerschaft: „Vor Ort kann man sehr viel machen. Viele Willkommensinitiativen entstehen gerade in kleinen Stadtteilen. Mit ihnen kann man in den Flüchtlingsheimen Veranstaltungen machen, bei denen sich Flüchtlinge ernst genommen fühlen.“ Man solle dabei Musikinstrumente der Einwanderung einbeziehen.
Oliver Keymis, Vizepräsident des Landtags und kulturpolitischer Sprecher der Fraktion der Grünen, begrüßte gleichfalls den Einsatz der anwesenden Verbands- und Musikschulvertreter. Er stellte die Erhöhung einer Musikposition im Landeshaushalt 2016 um 500.000 Euro für interkulturelle Arbeit in Aussicht. Der Kulturausschuss hat sie bereits beschlossen, der endgültige Beschluss stehe aber noch aus.
Das Fortsetzungsprojekt „MüzikNRW2“ begann an den sieben Projektstandorten, den Musikschulen Bochum, Duisburg, Herten, Hürth, Lüdenscheid, Oberhausen und Rheine, in der zweiten Jahreshälfte 2015, im November wurde es mit einer Auftaktveranstaltung in Herten der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Projekt will Interessierte aus allen Einwanderungskulturen zu interkulturellen Ensembles an Musikschulen zusammenführen, erläuterte Ruddi Sodemann, der nicht nur Vorsitzender des Landesverbands der Musikschulen in NRW, sondern auch Projektleiter von MüzikNRW ist. Schüler und Lehrer sollen zusammenspielen.
Erste Pilotensembles entstanden bereits in Herten, entsprechend wird MüzikNRW2 künstlerische Seminare anbieten. Es werden aber auch pädagogische Fragen diskutiert werden. Auch Improvisationen stehen im Mittelpunkt, denn viele Kulturen kennen sie als selbstverständliche Bestandteile von Veranstaltungen. Elternarbeit ist ebenfalls ein zentrales Thema, für das Nuray Ates und der Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe IFAK in Bochum als Partner zur Verfügung stehen. Viele Musikschulen arbeiten schon mit Flüchtlingen, da zahlt sich jetzt das erste Projekt MüzikNRW aus, resümiert Sodemann. Das eingesetzte Fördergeld komme hier mehrfach zurück.
Robert von Zahn referierte seitens des Landesmusikrats NRW, wie im Sommer 2015 aus ersten Diskussionen eines Arbeitskreises heraus das Förderprogramm des Landesmusikrats für Flüchtlingsprojekte von Musikvereinen, Chören und musikalischen Initiativen entstand. Wichtig war es dem Dachverband, dass nicht nur Fördergeld, sondern auch praxisnahe Verhaltensempfehlungen an die Mitgliedsvereine der Laienmusikvereine gegeben wurden. Die Empfehlungen resultierten auch aus Erfahrungen der Musikschule Bochum, die schon 2014 mit Flüchtlingsprojekten begann und die Ergebnisse in jenem Arbeitskreis mit dem NRW Kultursekretariat, dem Landesmusikrat NRW und dem Landesverband der Musikschulen in NRW diskutierte. Nun arbeiten 42 Projekte des Förderprogramms mit unterschiedlichen Erfolgserfahrungen. Auf Basis der Rückmeldungen erarbeitet der Landesmusikrat verfeinerte Empfehlungen für 2016.
Manfred Grunenberg, Leiter der Musikschule Bochum, stellte seine Projekte vor und sah eine wichtige Aufgabe in der Identitätsförderung und in der Sprachförderung von Flüchtlingen durch Musikschulen. Die Musikschule führt Trommelstunden, Projekte zu musikalischen Visitenkarten von Flüchtlingen (dreiminütige Videos), eine Fusion-Band (die schwer zu besetzen war), einen Flüchtlingschor (mit bislang einem „echten“ Flüchtling) sowie Hörspielprojekte und drei weitere Projekte zur Sprachförderung durch und bietet Musikschulunterricht für Flüchtlinge an. Grunenberg wies auf kommunale Integrationszentren hin, die mit eigenen Mitteln solche Projekte von Musikschulen unterstützen. Kulturbüros, Fördervereine und weitere Einrichtungen können helfen und wichtige Informationen bieten auch Migranten-Selbsthilfeorganisationen.
Im freien Erfahrungsaustausch suchten Diskussionsbeiträge aus Moers und aus Herten Lösungsansätze dafür, dass an Musikschulen unterrichtete Flüchtlinge kaum Übemöglichkeiten haben. Ruddi Sodemann stellte Strategien zur Senkung der Hemmschwelle am Projekt teilnehmender Flüchtlinge vor. Bernd Smalla, Stellvertretender Vorsitzender des Landesverbands, warb für die Entwicklung von langfristigen Strategien in der Flüchtlingsarbeit. Ruddi Sodemann sah beides, die kurzfristige Projektarbeit und die Entwicklung von Strategien, als Aufgabe des Landesverbands und zog ein positives Fazit des bisherigen Musikschul-Engagements.
Die Musiker Özmer Ergün und Hüseyi Kajith beschlossen den Nachmittag mit einem erzählenden Duett auf zwei armenischen Duduks sowie einem Lied mit Baglama-Begleitung, eine nachdenkliche Weise, die zur Besinnung auf das Miteinander zu mahnen schien.
Robert von Zahn
Fotos: MüzikNRW2 Özmer Ergün und Hüseyi Kajith spielen zwei Duduks im nordrhein-westfälischen Landtag, 14. Dezember 2015; Annegret Schwiening, Ruddi Sodemann und Arif Ünal bei MüzikNRW2; Team von MüzikNRW2: Hedwig Otten, Sandra Cheybani, Annegret Schwiening, Sophie Schormann und Ruddi Sodemann vom LVDM NRW vor dem Landtag; Fotos: LMR NRW.