“On A Clear Day" – "A Foggy Day”, diese beiden bekannten Jazzstandards, arrangiert von Stefan Pfeifer-Galilea, einem der vier Dirigenten des JJO NRW, bildeten die Klammer des Konzertprogramms, das das JugendJazzOrchester NRW auf seiner 37. Auslandstournee in Island präsentierte. Die künstlerische Leitung dieser Tour lag in den Händen von Stephan Schulze und Michael Villmow.
Fragt man einen Isländer nach dem Wetter, so lautet die Antwort, man solle die nächsten 15 Minuten abwarten. In dieser Zeitspanne folgt in der Regel Sonnenschein auf Regen und umgekehrt. Ein Open-Air-Konzert bedeutet somit für den Einheimischen allein schon in meteorologischer Hinsicht hinreichend Abwechslung.
Als das JugendJazzOrchester NRW in Keflavik, dem internationalen Flughafen von Reykjavik, landet, ist es kurz vor Mitternacht und taghell. Man wartet vergeblich am Gepäckband auf restliche Instrumente, die, so stellt sich auf Nachfrage heraus, versehentlich nach München geflogen wurden. Dabei bestand Lufthansa beim Einchecken in Düsseldorf darauf, dass für einige Instrumente trotz ihres geringen Gewichtes Extragebühren entrichtet werden mussten.
Bereits auf der knapp einstündigen Fahrt vom Flughafen nach Reykjavik wird deutlich, wie dünn dieses Land besiedelt ist. 3,1 Einwohner teilen sich einen Quadratkilometer. 320.000 Menschen leben in Island, davon rund 120.000 in Reykjavik. Das entspricht 37% der Gesamtbevölkerung des Landes. Die am nördlichsten gelegene Hauptstadt der Welt, nicht größer als eine mittlere Kommune im Ruhrgebiet, versprüht trotz ihrer übersichtlichen Ausdehnung weltstädtischen Charme. Dazu trägt nicht zuletzt das beeindruckende Konzerthaus „Harpa“ bei, direkt am Hafen gelegen, Sitz des Isländischen Sinfonieorchesters und der Isländischen Oper, mit dem Preis der Europäischen Union für zeitgenössische Architektur ausgezeichnet.
Das erste Konzert, von der Deutschen Botschaft in Reykjavik organisiert, findet in der Freikirche (Fríkirkja) im Zentrum Reykjaviks statt, einem Gebäude der von der Isländischen Staatskirche unabhängigen lutherischen Freikirche in Island. Gemeinsam mit dem bekannten isländischen Jazzsaxophonisten Sigudur Flosason spielt die Band u.a. Arrangements des Gastsolisten, die man auf der Frühjahrsarbeitsphase bereits einstudiert hatte. 15 Minuten vor Beginn des Konzertes treffen die noch fehlenden Instrumente und auch die Partituren ein, die mit Iceland Air inzwischen nachgeflogen wurden.
Einen Tag nach dem Eröffnungskonzert reist das Orchester mit Bus und Fähre zu den Westmännerinseln (Vestmannaeyjar), einer kleinen Inselgruppe südlich der Küste gelegen. Heimaey stellt mit einer Fläche von 14,5 km² die mit Abstand größte und einzig ständig bewohnte Insel dar. Auf ihr befindet sich die gleichnamige Stadt. Sie erlitt durch einen Vulkanausbruch am 23. Januar 1973 einen schweren Schicksalsschlag, viele Häuser wurden unter Asche und Lava begraben. Heute kann man in einem 2012 fertiggestellten Museum in einer beeindruckenden Video- und Audioinstallation dieses Naturereignis „nacherleben“.
Das Kulturamt der Stadt hatte das JJO NRW nach Heimaey eingeladen und veranstaltete in Kooperation mit der Musikschule ein Konzert, das im dortigen Kulturhaus (Kvika) stattfand. Schlagzeug, Piano und Verstärker, dieses Mal nicht im Reisegepäck des Orchesters, stellte die Musikschule zur Verfügung; hier bezog die Band auch Quartier. Kristín Jóhannsdóttir, zuständig für Kultur und Marketing der Insel und Initiatorin des JJO-Besuchs, leitet auch das Vulkanmuseum. Gemeinsam besucht man am nächsten Tag die Ausstellung.
Zurück in Reykjavik steht eine umfassende Besichtigungstour rund um die Hauptstadt auf dem Programm, die das Orchester zu den großartigsten Naturwundern Islands führt: bestaunt werden u.a. wasserspeiende Geysire, rauchende und streng riechende Schlammlöcher im geothermischen Gebiet Haukadalur und der gewaltige Gullfoss-Wasserfall.
Die zweite Hälfte der Tour beginnt mit einem atemberaubenden Inlandsflug nach Isafjordur, dem Wirtschafts- und Verwaltungszentrum der Westfjorde. Das Orchester belegt die Hälfte der zur Verfügung stehenden Sitzplätze. Instrumente, sonst als Handgepäck in der Kabine mitgeführt, werden problemlos in den Frachtraum verladen; das Bodenpersonal hantiert dabei erfreulich umsichtig. Der Anflug auf Isafjordur gehört zu den schwierigsten weltweit. Hier muss die Maschine zunächst in einen Fjord einfliegen, wobei man beklemmend nahe an einer schroff abfallenden Felswand entlang gleitet. Vor dem Aufsetzen fliegt die Maschine noch eine 180°-Kurve in beängstigend niedriger Höhe.
Die Leiterin des Kulturzentrums Edinborgarhúsið, Margret Gunnarsdottir, hat mit großem persönlichem Einsatz und unter Mithilfe von Familienangehörigen den Besuch des Orchesters vorbereitet. Die Band wird in einer komfortablen Skihütte untergebracht und versorgt sich selbst. Entsprechend steht ein Großeinkauf im Supermarkt auf dem Programm. Jede „Section“ kauft für sich ein, ein „Grill- und Küchenkommando“ kümmert sich um Abendessen und Frühstück. Vor dem Konzert am nächsten Tag bleibt Zeit, die Gegend zu erkunden. Das Wetter bleibt stabil, angenehme Temperaturen lassen für einen Moment vergessen, dass man sich knapp südlich des Polarkreises befindet.
Gastsolist in Isafjordur ist der heimische Akkordeonist Hrólfur Vagnsson, der auch als Toningenieur in Deutschland arbeitet und u.a. die NDR-Big Band tontechnisch betreut. Gabriel Perez, der 4. Leiter im JJO-Dirigententeam, hat einen Tango von Astor Piazzolla eigens mit einem Akkordeon-Solopart versehen. Ein gemeinsamer Blues steht auch auf dem Programm, das Publikum feiert Solist und Band enthusiastisch.
Will man die Geschichte dieser Region verstehen, ist ein Ausflug in das vor Jahren verlassene Fischerdorf Hesteyri auf der Halbinsel Hornstrandir unerlässlich. Begrenzt durch das Nordpolarmeer und dem mächtigen Gletscher Drangajökull kann dieses von Gott und Mensch verlassene Nest nur mit dem Boot erreicht werden. Keine Straße führt hierher, in Sichtweite die Gemäuer einer verfallenen Walfangstation.
Kenner sagen, dies sei der schönste Flecken Islands. Zwischen lebensfeindlicher Schroffheit und unwirklicher Sanftheit spürt man die fast magische Atmosphäre der ehemaligen Fischersiedlung Hesteyri mit ihrer leidvollen Geschichte.Das kleine Café, eines der 4 verbliebenen Häuser des Dorfes, öffnet für wenige Monate im Jahr. Strom bezieht es aus einer Batterie, die mit einem durch Quellwasser betriebenen Dynamo gespeist wird. Ein Polarfuchs traut sich bis an die Veranda und staubt einige Fischreste ab. Handyempfang ist hier nicht möglich, nach Internet zu fragen kommt der Jugend nicht in den Sinn.
Zurück in Isafjordur bereitet man sich auf den Rückflug nach Reykjavik vor. Der Anflug der zuvor aus der Hauptstadt eintreffenden Propellermaschine wird ausgiebig bestaunt. Durch die Vermittlung von Sigurdur Flosason spielt das Orchester sein letztes Konzert auf der Vulkaninsel im Innenhof des Restaurants „Jomfruin“ inmitten der City Reykjaviks. Samstags nachmittags wird hier von 15:00-17:00 Uhr gejazzt. Das Publikum, zahlreich erschienen und teils in Decken gehüllt, verfolgt begeistert das Konzert. Es ist kalt, aber es regnet nicht, also für isländische Verhältnisse gute Bedingungen für ein Open-Air-Konzert. Thomas H. Meister, der Deutsche Botschafter, sowie zahlreiche Mitarbeiter weiterer ausländischer Vertretungen verfolgen den Auftritt. „A Foggy Day“ beschließt dieses Konzert und auch die Tour, es gibt wie immer eine Zugabe.
Der Deutsche Botschafter lädt nach dem Konzert zu einem Umtrunk in seine Residenz. Er ermuntert alle Orchestermitglieder, sich persönlich vorzustellen. Auch die Gäste anderer Dependancen nennen ihre Namen und ihre Funktion; es entwickelt sich eine lebhafte Konversation.
Am 10. Tag der Islandreise fliegt die Band zurück nach Deutschland. Um 04:00 morgens steht der Bus für den Transfer nach Keflavik bereit, die Nacht zuvor wieder taghell.
(Thomas Haberkamp)
Foto 1: Konzerthaus „Harpa“ im Hafen von Reykjavik.
Foto 2: Streng riechende Schlammlöcher und Geysire gehörten zum Besichtigungsprogramm des JugendJazzOrchester NRW bei seiner Island-Tournee im Juni 2014.
Foto 3: Das JugendJazzOrchester NRW vor der Skihütte in Isafjordur, die als Unterkunft diente.
Foto 4: Letztes Konzert des JJO im Innenhof des Restaurants „Jonfruin“ in Reykjavik: landestypisch gute Open-Air-Bedingungen.
Foto 5: Auch bei Flügen in der Nacht bleibt es taghell: das JJO NRW am Flughafen Isafjodur.
Fotos 1, 3, 4, 5: Thomas Haberkamp. Foto 2: Carla Köllner.