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Wir auf dem Weg zur kulturellen Vielfalt: Podiumsdiskussion und Projektmarkt in der Landesmusikakademie NRW

Am 26. November veranstaltete die Landesmusikakademie NRW in Kooperation mit dem Landesmusikrat NRW und weiteren Partnern zwei Vorträge, einen Projektmarkt und eine Podiumsdiskussion unter dem Motto „Wir auf dem Weg zur kulturellen Vielfalt“. Anlass war die Jahresversammlung des Trägervereins der Akademie. Die Veranstaltung zollte einer Aufbruchstimmung Tribut, die neue Initiativen und Projekte von Landesmusikakademie, Landesmusikrat, Landesverband der Musikschulen in NRW, Chorverband NRW und NRW-Kultursekretariat antreibt. Ein Projektmarkt stellte diese im Foyer der Akademie vor. Die Besucher hörten bei reichlich Kaffee und Kuchen kurze Vorstellungen an den Ständen der Kultureinrichtungen.

Annegret Schwiening präsentierte die neue Auflage des Projekts MüzikNRW, mit dem der Landesmusikverband der Musikschulen die Musik von Einwanderungskulturen als Unterrichtsangebote an den öffentlichen Musikschulen in NRW etablieren möchte. Am 14. Dezember wird eine eröffnende Veranstaltung im Landtag die Möglichkeiten des Projekts ausloten.

Anne Tüshaus stellte das Projekt Brückenklang vor, mit dem Landesmusikrat, Landesmusikakademie und Musikreferat des Kulturministeriums zusammen mit dem Chorverband NRW und weiteren Verbänden die Szene der Musikvereine und Chöre stärker gegenüber Migrationskulturen öffnen möchten. Es besteht aus Förderprogrammen, aus Fortbildungsangeboten und aus Begegnungs-Veranstaltungen, die in wechselnden Landesteilen ausgerichtet werden.

Christian Esch berichtete aus der Arbeit des Beirats Musikkulturen, den die beiden Kultursekretariate unterhalten. Eigentlich konzipiert der Beirat Konzertangebote der kulturellen Vielfalt, die den Mitgliedsstädten der Sekretariate zu subventionierten Bedingungen angeboten werden. Doch mittlerweile gehen von dem Beirat auch Förderangebote interkultureller Arbeit und Fortbildungsinitiativen aus. Landesmusikakademie, Landesmusikrat und Landesverband der Musikschulen arbeiten im Beirat mit.

Robert v. Zahn resümierte erste Erfahrungen aus einem Förderprogramm, das Projekte von Chören, Musikvereinen und Laienmusikinitiativen mit Flüchtlingen und für Flüchtlinge unterstützt. Das Deutsche Musikinformationszentrum in Bonn sammelt Informationen zu diesen und anderen Projekten und stellte sie in Form einer interaktiven Landkarte auf miz.org für andere bereit. Antje Valentin fasste Ergebnisse des Baglama-Kongresses vom Dezember 2014 in Heek zusammen. Eine Folge war die Einrichtung eines Zertifikatskurses für Baglama-Lehrer, der auf das Unterrichten an öffentlichen Musikschulen vorbereitet. Er ist unlängst gestartet und wird gut angenommen.

Den Projektmarkt begleiteten zwei Vorträge im großen Saal. Der Vorsitzende des nordrhein-westfälischen Integrationsausschusses Arif Ünal skizzierte die Realität einer multikulturellen Gesellschaft, deren politische Vertreter erst vor wenigen Jahren anerkannten, dass die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist. Die Verspätung der Erkenntnis trug nicht wenig dazu bei, dass die aktuelle Welle von Flüchtlingen Defizite offensichtlich macht, was die politische, soziale und kulturelle Teilhabe der Zuwanderer angeht. Für viele Immigranten kam das kommunale Wahlrecht sehr spät, sie haben nie gelernt sich zu beteiligen, so Ünal. In der Situation der Masseneinwanderung rücken die Kulturen zusammen, ein migrantenfreundliches Klima ist wichtig. Viele Migranten, die in Deutschland studiert haben, gingen danach ins Ausland, bedauerte Ünal: Wir müssen dieses Potenzial nutzen.

Jürgen Fischer von Regionalverband Ruhr informierte über den Zwischenstand der Bemühungen des Verbands um die interkulturelle Arbeit im Zuge des Nachhaltigkeitsprogramms der Kulturhauptstadt von 2010. 4,8 Millionen Euro kommen aus den Beiträgen von Land und Ruhrkommunen für die Kulturarbeit zusammen, 300.000 Euro davon sind der interkulturellen Arbeit zugedacht. Doch die Konzeption der Nachfolgearbeit des berühmten Melez-Festivals, das seit 2010 auf seine transformierte Weiterführung wartet, kommt nicht recht von der Stelle. Ein dreiköpfiges Kuratorenteam, das über eine Ausschreibung gesucht wurde, wird ab Januar 2016 über zwei Jahre hinweg ein Konzept ausarbeiten und dieses mit den Akteuren im Ruhrgebiet abstimmen. Einstweilen gehen von den vorgesehenen 300.000 Euro jährlich für interkulturelle Arbeit erst einmal 100.000 in einen Fonds für Flüchtlingsprojekte. Daneben gibt es Projekte wie eine gemeinsame interkulturelle Werbung der Museen, die regelmäßig zusammentretende Kulturkonferenz Ruhr und den wunderbaren „Day of Song“, der nach der Infragestellung durch seinen Träger, die Ruhrtouristik, nun wohl doch weitergeführt wird, wie Fischer mit Blick zur Chorverbandspräsidentin Regina van Dinther in der ersten Reihe der Zuhörer versicherte.

Gemeinsam mit WDR3 veranstaltete die Landesmusikakademie eine Podiumsdiskussion, die als Teil der Sendereihe „Forum WDR“ ausgestrahlt werden wird. Michael Köhler moderierte ein Gespräch von Christian Esch, Regina van Dinther, Antje Valentin und Arif Ünal, Integrationsausschuss des Landtags NRW, über die Situation der Musik der kulturellen Vielfalt. Ünal beschrieb die große Laienmusikszene der Einwanderer, die mit den traditionellen Vereinen zu wenig in Berührung komme. Da müssten Verbindungen geschaffen werden. Valentin sah eben in diesem Umstand den Anlass für das Programm „Brückenklang“, das diese Verbindungen herstellen soll. Sie vermisste aber ansprechbare übergeordnete Strukturen auf der migrantischen Seite, was die Arbeit nicht leicht mache. Immerhin sei eine Baglama-Plattform entstanden, deren Sprecher nun in den Beirat der Landesmusikakademie aufgenommen wird.

Van Dinther sah in den Kontakten von Mensch zu Mensch den Schlüssel für die Zusammenführung der Szenen. Man trete halt nicht einfach so in einen Verein ein. Sie will in ihrem Verband auf ganzer Breite ein "Wir wollen es" ermöglichen. Und man müsse Formate der Laienmusik finden, in denen Musik von Migranten stattfinden könne. Christian Esch forderte, dass mehr Menschen mit Migrationshintergrund in Führungspositionen des Kulturlebens gelangen müssten, van Dinther ergänzte, dass sich auch gesellschaftliche Vereinigungen wie Rotarier und Lions Club Zuwanderern öffnen müssten, worauf Köhler den schwierigen Begriff der Leitkultur in die Debatte warf.

Für Christian Esch sind die Werte, die im Grundgesetz festgelegt sind, Kern einer Leitkultur, darüber hinaus brauche man nicht viel festzulegen. Es sei ein Irrglaube, dass Deutschland abseits der Zuwanderung eine homogene Kulturpraxis habe, die definiert werden könnte. Valentin sah es als unabdingbar an, dass man an der deutschen Sprache strikt festhalten müsse. In der gemeinsamen Kulturarbeit stoße sie da oft auf Hindernisse. Doch die erste Generation der Gastarbeiter hatte auch oft kaum die Möglichkeit, die deutsche Sprache zu lernen, erläuterte Ünal, wodurch die nächsten Generationen nur wenige sprachliche Vorbilder in der Umgebung hatten. Das deutsche Schulsystem sei wenig geeignet, dieses im Aufwachsen der Generationen zu korrigieren.

Valentin und Esch begrüßten den Vorschlag von Naika Foroutan, Professorin für Integrationswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin, ein Leitbild und keine Leitkultur zu beschreiben. Eine Leitbild-Kommission aus Parteien, Wissenschaftlern, Kirchen, Gewerkschaften, Arbeitgebern und Minderheitenvertretern solle nach einem Narrativ suchen, das unsere Gesellschaft in die Zukunft trägt, und den Fragen nach der Rolle von Religion, Schicht, Geschlecht oder ethnischer Herkunft in der Wahrnehmung von Zugehörigkeit zur Gesellschaft nachgehen. In Arif Ünals Fazit der Gesprächs ist Kultur kein statischer Begriff, sondern eine tagtägliche Veränderung - das Grundgesetz bilde die Gemeinsamkeit.

In der abschließenden Mitgliederversammlung des Trägervereins der Landesmusikakademie konnten der Vorsitzende Reinhard Knoll und die Akademiedirektorin eine rundherum erfreuliche Bilanz des vergangenen Jahres ziehen. Immerhin zählte zu den Taten die Eröffnung eines neuen Hauses des Akademie, mit dem sich die Kapazitäten deutlich erweitern. Zu Beginn der Versammlung gedachte Reinhard Knoll Karl Feldhaus, der in der Nacht zuvor verstorben war. Karl Feldhaus, ehemaliger Schulleiter und auch Vorsitzender des Landesverbandes der Musikschulen, hatte sich um 1980 herum wie kaum ein anderer bei Politik und Verwaltung des Kreises Borken und des Landes NRW für die Gründung der Akademie eingesetzt. Nach ihm ist der Seminarraum des neuen Hauses benannt. Erfahren hat er davon noch, doch besichtigen konnte er ihn nicht mehr.

Zum Schluss der Versammlung tauschten die beiden Vertreter des Musikreferats des Kulturministeriums und der Vorsitzende Dank und Komplimente zur Zusammenarbeit aus. Besonders gewürdigt wurde Hubert Steinweg, Vorstandsmitglied der Fördergesellschaft der Akademie. Denn Steinweg, Gründungsmitglied der Gesellschaft und persönlicher Unterstützer der Akademie, hat für die kommende Jahresversammlung der Gesellschaft im Dezember seinen Rückzug aus dem Vorstand angekündigt. Die Zufriedenheit mit dem Gelingen dieser Landeseinrichtung merkte man ihm deutlich an.

rvz

Fotos: Annegret Schwiening stellt MüzikNRW im Projektmarkt vor; Vortrag Arif Ünals im Konzertsaal; Anne Tüshaus berichtet über das Projekt Brückenklang im Projektmarkt, Landesmusikakademie, 26.11.2015, Foto: Lahl.