Wohin will die Soziokultur? fragte die LAG Soziokultureller Zentren Nordrhein-Westfalens am 5. und 6. März im ZAKK Düsseldorf. Die gute besuchte Tagung gliederte sich in kurze Vorträge, in Podiumsdiskussionen, Themenstammtische und Arbeitsgruppen, die Bilanzen soziokultureller Arbeit unter bestimmten Perspektiven zogen, Entwicklungen problematisierten und schließlich auch Zukunftsvorstellungen entwickelten.
Der Teilnehmerkreis machte deutlich, dass die Soziokultur für das Kulturleben insgesamt relevant ist und alle Male auch für die so genannte Hochkultur. Neben vielen Mitarbeiterinnen und Ehrenamtlichen von Soziokulturellen Zentren und vielen Künstlern waren Dezernenten von Kommunen, Vertreter von Bezirksregierungen und des Kulturministeriums ebenso vertreten wie Vertreter der Kunststiftung NRW, der Kulturförderung des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe und kommunaler Theater, nicht zuletzt auch der kulturpolitische Sprecher der Landtagsfraktion der Grünen.
Das lag offensichtlich auch daran, dass viele Funktionsträger des weiteren Kulturlebens ihren beruflichen Weg in der Soziokultur begonnen haben. Jörg Stüdemann, der Dortmunder Stadtdirektor, ist einer von ihnen. Eingebunden in ein von Mark Grandmontagne moderiertes Forum zur Soziokultur von der Bewegung zur Institution ging er etwa mit der tradierten formalisierten Form des Kulturförderwesens in einer Art und Weise ins Gericht, der man seine Prägung durch die Essener Zeche Carl anzuhören schien. Im Wesentlichen in den 1970er Jahren ausgeprägt stellt Kulturförderung für ihn heute eine irrsinnige Förderbürokratie dar, die die Förderung junger kultureller Artikulationsformen kaum noch ermögliche.
Deutlich wurde im Forum, dass sich alle Bewegungen mit ihrer Institutionalisierung irgendwann schwer tun. Jörg Stüdemann verband es mit dem Gegensatz von Jugend und Alter: Man kann nicht immer jung sein, und dauernde Revolte kann man nicht leben. Die Etablierten müssten ertragen können, dass junge hinterher kommen, es anders machen und damit attraktiver sind. Einig waren sich die Diskutierenden darin, dass man den Generationenwechsel organisieren kann, etwa, in dem die Zentren ihre Räume den jungen Bewegungen öffnen. Stüdemann bekannte: „Das bedarf einer gewissen Größe – die Hegemonie altlinker Gründungsmythen lässt dann nach.“
Der Umgang mit der Bewegung und den Idealen der 1968er ist offenbar nach wie vor von der Diskussion über die Marschrichtung der Zentren nicht zu trennen. Jede Generation hat ihr Recht auf ihren eigenen politischen Stil, und doch spürte man immer wieder das Kopfschütteln der Älteren über die Angepasstheit oder die geringe Reflexion seitens der Jungen, etwa wenn EinsLive-Chef Jochen Rausch – frisch mit dem Grimme-Preis geehrt – Bewerbungsgespräche ansprach. Die junge Poetry-Slam-Künstlerin Josefine Berkholz aus Berlin hielt dem in einer Diskussion selbstbewusst entgegen: „Von uns wird erwartet, dass wir die 1968er neu erfinden. Das ist aber einfach nicht am Start.“
Muss man die Soziokulturellen Zentren wieder neu politisieren? Die Frage zog sich quer durch die Diskussionen. Wenn es einen Konsens gab, dann am ehesten in der Richtung, dass diejenigen, die durch die Institutionen marschieren, darauf achten müssen, dass sie gewisse Grundmuster politischen Handelns beibehalten. Manche Programmacher standen dazu, dass sie im Jahresprogramm eines Zentrums Comedy brauchen, um wirtschaftlich zu überleben, Florian Malzacher, Leiter des Theaterfestivals „Impulse“ hingegen kritisierte dies als wenig mutig. Auch die Dominanz der Musikveranstaltungen in den meisten Jahresprogrammen wurde eher der Politikferne der Zentren zugerechnet.
Staatssekretär Bernd Neuendorf vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW sah die Frage der politischen Relevanz positiv: Zum Einen würden viele der aktuellen Programme zur kulturellen Bildung aus dem Humus der soziokulturellen Bewegung der 1970er und 1980er schöpfen, was deren Relevanz zeige, umgekehrt würden die Zentren in den aktuellen Themen der Gesellschaft auch die Ansätze zur Weiterarbeit sehen. Inklusion, Integration und demographischer Wandel etwa seien Themen, bei denen die Zentren Vorreiter bleiben könnten.
Josefine Berkholz ist eine begnadete Poetry Slam Künstlerin. Sie deklamierte in einer eindrucksvollen Performance Verse, die zu den Fragen der Politisierung und der Generationen eigene Akzente setzten. „Es wäre Zeit für große Worte kleiner Mann, doch meine Argumente kippen… Wenn wir doch wenigstens ein Statement hätten.“ In der Diskussion sprach sie sich für das Raum geben für Kunstformen der Jugend und gegen das Unterschätzen aus. Das Prinzip des Abholens der Jugendlichen dort, wo sie stehen, sieht sie mit Misstrauen. In der jungen Generation seien sehr viel Wille und Kraft sich auszudrücken vorhanden, auf die man setzen könne, einfache Formate seien da unnötig.
Was wird aus den vielen Anregungen, die in der Tagung entstanden? Peter Grabowski, der die vielen Diskussionsfäden gekonnt zusammenhielt, entlockte Rainer Bode, Geschäftsführer der LAG Soziokultureller Zentren NRW die Ankündigung, dass eine Sitzung der LAG die Protokolle und Aufzeichnungen auswerten, Schwerpunkte herausgreifen und deren Konkretisierung vorantreiben werden. Er hielt es nicht für ausgeschlossen, dass am Ende ein Überdenken der Programmatik der Zentren stehen könnte.
rvz
Fotos: Florian Malzacher, Josefine Berkholz, Peter Grabowski und Rainer Bode in der Schlussdiskussion am 6. März 2015 im ZAKK Düsseldorf; Staatssekretär Bernd Neuendorf, Soziologin Helene Kleine, Moderator Peter Grabowski, der Essener Grend-Theaterleiter Johannes Brackmann und EinsLive-Chef Jochen Rausch am 5. März 2013 im ZAKK Düsseldorf; Vortrag Florian Malzachers am 5. März im ZAKK; Fotos: LMR NRW.