„Ein Lied ist viel Arbeit“, mahnt Dozent Sebastian Witte, „der Anblick eines Sonnenuntergangs reicht nicht aus, um ein Lied schreiben zu können. Das hat schon Gottfried Benn in Bezug auf Gedichte festgestellt.“ Der Workshop „Weißes Papier“ des Landesmusikrats NRW und des Literaturbüros NRW Düsseldorf widmet sich vor allem dem Ringen des Songwriters mit seinem Text. Und mit dem ersten Schritt, mit dem viele Probleme haben. Ideen kommen in den Sinn, doch eine Idee muss aufgeschrieben und alsbald ausgearbeitet werden.
„Trägt man eine Idee zu lang mit sich herum, ist sie weg“, ergänzt der zweite Dozent des Workshops Roland Meyer de Voltaire: „Man braucht den Mut, auch erst einmal einen Steinbruch an Ideen aufzumachen und festzuhalten.“ Von diesem Steinbruch aus startet die Ausarbeitung eines Liedtexts.
19 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hören diese Mahnungen, manche nicken, manche schütteln die Köpfe. Einige sind schon erfahren und haben Auftritte mit eigener Band hinter sich. Makeda aus Bonn etwa ist es gewohnt englisch zu schreiben, tut sich aber mit dem Deutschen als Song-Sprache schwer, obwohl sie beide fließend und akzentfrei spricht. Auch Sebastian aus Köln schreibt bereits seit zehn Jahren englische Songs und möchte endlich einen eigenen deutschen ins Repertoire aufnehmen. Petra aus Hürth ist eine gestandene Musikschullehrerin und in einer Frauen-Band unterwegs. Sie empfindet Songwriting als besondere Herausforderung.
Muhammet aus Solingen hingegen hat noch keinen Song fertiggestellt, spielt auch kein Instrument und tut sich mit dem Formulieren seiner Gedanken schwer. Am Ende des Workshops wird er eines der überzeugendsten Ergebnisse vorstellen, die Reflexion eines Hiphoppers, der sich gesellschaftlich fremd fühlt. Der deutsche Text ist im Workshop geformt, der Hiphop-Groove kommt über eine App aus dem Web, sein rhythmischer Vortrag aus dem Blut: „Es ist beschissen zu wissen, dass du nicht mehr da bist“.
Moderator Julian Müller warnt vor Formeln, die zum Erfolg führen sollen. Erfolgreiche Songs seien oft erstaunlich wenig formelhaft. Einig sind sich alle drei, dass vor allem Arbeit zum Ziele führe. Der erfolgreiche Songautor Nick Cave warte nicht auf den Anflug von Inspirationen, sondern produziere Songs wie in einem Bürojob. Beim Arbeiten würden die Ideen kommen.
Sebastian Witte berichtet, dass manche Produzenten die Melodie in den Mittelpunkt des Songwriting stellen würden, dieser Workshop hingegen geht strikt vom Text aus. „Wie steht ihr zum Reimen?“, fragt ein Teilnehmer. Sebastian Witte lässt Reime nicht durchgehend zu, nur als Stilmittel, das Strukturen aufbricht oder Erwartungshaltungen enttäuscht. Roland Meyer de Voltaire hat beim Schreiben Reime im Hinterkopf, ohne sie zu verwenden, setzt sie aber für Effekte ein.
Für die Schreibwerkstatt des Workshops werden die Teilnehmer in Gruppen eingeteilt und mit einer Reihe von fünf Stichworten konfrontiert: ,Abschied‘, ,Geld‘, ,Politik‘, ,Gesellschaft‘ und ,Der besondere Moment‘. Alle sind aufgefordert, ein Stichwort zu nehmen, mit dem sie sich von allein nicht beschäftigen würden und dieses assoziativ auszuarbeiten. Nach und nach entsteht unter beständiger und zuweilen fast suggestiver Anleitung aus der Sammlung von Assoziationen ein Songtext. Am häufigsten wird ,Der besondere Moment‘ gewählt und dabei gerne als ein Abschied aufgefasst und ausgearbeitet. Allemal wirken die entstehenden Songs persönlich, nicht abstrakt, wenig reflektierend, eher unmittelbar auf den Hörer zielend.
„Schreibt ihr immer nüchtern?“ fragt ein Teilnehmer, und Roland Meyer de Voltaire antwortet entschieden, „eher ja“. Sebastian Witte ergänzt, dass Ideen oft spät nachts kommen, wenn man nicht mehr ganz nüchtern ist. Gerade solche müsse man sofort festhalten. Roland relativiert, dass sich diese bei nüchterner Betrachtung oft anders ausnehmen würden.
Am Samstagabend stehen Konzepte, auch ganze Liedtexte, Melodieentwürfe und Begleitakkorde auf den Papieren. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind erschlagen, Pialotta aus Köln klagt, dass sie noch nie einen so anstrengenden Workshop erlebt habe – von trunkener Nachtarbeit kann keine Rede sein. Am Sonntag geht es weiter. Die Dozenten hören und diskutieren Zwischenergebnisse, geben zuweilen Hinweise zu Vertonungseffekten und fordern oft Textverdichtungen – entweder eine Aussage formen oder schweigen. Die Songs ändern sich erheblich.
Manche Teilnehmerinnen bekennen am Nachmittag, dass sie viel gelernt haben, mit dem Ergebnis ihrer Workshoparbeit aber nicht zufrieden sind. Sie wollen nicht vortragen, manche singen ältere Arbeiten. Tomé hat bislang zu wenig Deutsch gelernt, meint, er würde sein eigenes gesprochenes Deutsch nicht verstehen und singt doch Englisch. Und wer ihn hört, lacht begeistert, dass eine Übersetzung auch kaum sinnvoll sei.
Die meisten begleiten sich auf der akustischen Gitarre, manche am Klavier. Roland Meyer de Voltaire begleitet an der Gitarre Rebekka aus Köln beim Lied „Die Gardine ziehst du zu“, einem so einfühlsamen wie kritischen Blick in die umgebende Gesellschaft. Die Songwriterin und Musikpädagogin Johanna kann mühelos auch andere begleiten, so Petra aus Hürth bei deren Lied „Das Ende deiner Reise ist zum Greifen nah“. Von sich selbst aber trägt Johanna lieber einen älteren Song vor, „Die Hände einer Muse ergreifen mich“, auskomponiert mit vielfältigen Stimmungswechseln. Simon aus Mönchengladbach lässt den “Bafögger” auferstehen, eine Donquichotterie über Formularkriege.
Das Bild, das am Ende dieses Workshops vom Songwriting entsteht, ist ungemein vielfältig, reicht vom Liebeslied bis zum politischen Kabarett, vom traditionellen Liedermacher bis zum Rapper, ein Kaleidoskop der Artikulationen.
Die Veranstaltung des Landesmusikrats NRW und des Literaturbüros NRW wurde vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW gefördert und von Andrea Herder seitens der cologne on pop GmbH organisiert.
rvz
Fotos: Workshopteilnehmerin Rebekka Berger am 18. Januar 2014 in der Wohngemeinschaft Köln; Roland Meyer de Voltaire, Julian Müller und Sebastian Witte am 18. Januar im Workshop. Fotos: Andrea Herder, Köln.